Fachtagung 2014: Abstracts, Beiträge und Materialien
The times they are a-changin' – Blicke auf Kriminalität und Prävention in Zeiten demografischen Wandels
Einflüsse der sozialen Lage auf die Wahrnehmung krimineller Gelegenheiten
(Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung)
Im Mittelpunkt des Beitrags stehen Gelegenheiten zu kriminellem Handeln. Wir verfolgen das Ziel, Einflüsse der sozialen Lage von Akteuren auf die Wahrnehmung krimineller Gelegenheiten theoretisch zu spezifizieren und empirisch zu analysieren. Auf der Grundlage des "Modells der Frame-Selektion" werden die wichtigsten Theorien zur Erklärung von Einflüssen der Sozialstruktur auf Kriminalität in den Bezugsrahmen des "Grundmodells soziologischer Erklärungen" eingebunden und auf die Wahrnehmung von Gelegenheiten bezogen. Die theoretischen Überlegungen werden im Rahmen einer empirischen Untersuchung konkretisiert und überprüft. Die Studie wurde als postalische Befragung einer Stichprobe (einfache Zufallsauswahl) von 18 bis 65- jährigen Bewohnern einer deutschen Großstadt durchgeführt.
Situationen, die als Gelegenheiten zur Ausführung krimineller Handlungen (Fundunterschlagung) betrachtet werden können, werden mit Vignetten operationalisiert. Dieses Design erlaubt die Analyse von Einflüssen der sozialen Lage von Akteuren auf unterschiedlich "gute" Gelegenheiten zu kriminellem Handeln. Abschließend werden die Ergebnisse der Studie vor dem Hintergrund des gewählten theoretischen Bezugsrahmens diskutiert.
Religiosität, Normorientierungen und Delinquenz
(Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Rechtswissenschaftliche Fakultät)
Mögliche Zusammenhänge zwischen Religion und Jugendkriminalität gehören, zumal in multireligiösen Einwanderungsgesellschaften, zu den kontroversesten und gesellschaftlich brisantesten kriminologischen Fragestellungen. Während von religiösen Bindungen insbesondere kontrolltheoretisch delinquenzmindernde Effekte zu erwarten sind, geht man teilweise aber auch von problematischen subkulturellen Einflüssen aus. Die Befundlage hierzu ist gegenwärtig nicht ganz eindeutig. Während eine stärkere Religiosität bei christlichen Jugendlichen danach recht einheitlich mit geringerer Delinquenz einhergeht, so ist dies speziell bei muslimischen Jugendlichen nicht durchweg zu beobachten. Teilweise wird vermutet, dass Religiosität hier mit einer stärkeren, auch durch religiöse Institutionen vermittelten Akzeptanz männlicher Gewalt einhergehe, die die generellen delinquenzhemmenden Einflüsse der Religiosität (teilweise oder völlig) aufhebe oder gar überlagere. In bisherigen, auf meist nur zu einem Messzeitpunkt erhobenen Daten beruhenden Analysen konnten diese vermuteten Ursachenzusammenhänge nur begrenzt überprüft werden. In diesem Vortrag soll auf Grundlage von Paneldaten aus der Studie „Kriminalität in der modernen Stadt“ Einflüssen der Religiosität auf Normorientierungen und Delinquenz im Längsschnitt nachgegangen werden. Dabei werden auch Einflüsse der Religiosität auf unterschiedliche Freizeitpräferenzen und damit verbundene situative Delinquenzrisiken berücksichtigt.
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Präsentation: walburg-2014.pdf
Substanzkonsum und Delinquenz – Ergebnisse einer Schülerbefragung aus sechs europäischen Ländern
Im vorliegenden Beitrag werden selbstberichtete Devianz und Delinquenz Jugendlicher aus einer europäischen Perspektive vorgestellt. Im Jahr 2012 wurde im internationalen Forschungsprojekt “Youth deviance and youth violence: A European multi-agency perspective on best practices in prevention and control (YouPrev)” in den Ländern Belgien, Portugal, Spanien, Slowenien, Ungarn und Deutschland eine an den ISRDIII angelehnte Befragung von 10,682 Schülerinnen und Schülern (durchschnittliches Alter: 15.1 Jahre) durchgeführt. Der vorliegende Beitrag wird Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen (selbstberichtetem/r) Substanzkonsum und Delinquenz der Schülerinnen und Schüler aus den sechs europäischen Ländern vergleichend beschreiben. Unterschiede zwischen städtischen und kleinstädtisch-ländlichen Räumen werden aufgezeigt. Potentielle Risikofaktoren für Devianz, die in Person, Familie und Nachbarschaft zu finden sind, werden untersucht. In multivariaten Modellen werden Prädiktoren für Delinquenz sowie für häufigen bzw. multiplen Substanzkonsum vorgestellt und diskutiert.
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Präsentation: taefi-2014.pdf
Freundschaft und Gewalt im Jugendalter
(Universität zu Köln, Institut für Soziologie und Sozialpsychologie)
Harald Beier(harald.beier"AT"mzes.uni-mannheim.de), Evelyn Sthamer & Sonja Schulz
(Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung)
Dass jugendliches Gewalthandeln maßgeblich mit der Verbreitung von Gewalt in der Peergruppe zusammenhängt, ist ein stabiler Befund in der Kriminologie. Auf welchen Prozessen dieser Zusammenhang basiert, ist bislang jedoch umstritten. Besonders geeignet für die Analyse von Prozessen in der Peergruppe sind im Schulkontext erhobene Netzwerkdaten, in denen sowohl Informationen über die befragten Schüler selbst als auch über ihre Beziehungen untereinander vorliegen. Einerseits ermöglicht dies, Charakteristika von allen Netzwerkmitgliedern zu berücksichtigen (z.B. die jeweilige Gewalttäterschaft zweier Freunde) ohne auf Proxy-Angaben angewiesen zu sein. Andererseits kann darüber hinaus auch die Struktur des Netzwerkes selbst bei der Analyse berücksichtigt werden (z.B. die Häufigkeit, mit der bestimmte Jugendliche als Freunde genannt werden). Im Rahmen des Projektes „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ (Projektleitung: Professor Dr. Clemens Kroneberg, Universität zu Köln) wurde im Herbst 2013 die erste Welle einer Schülerbefragung in 5 Städten des Ruhrgebietes durchgeführt (N = 2635).
Innerhalb vollständiger Schuljahrgänge wurden positive Beziehungen zwischen den Schülern (mögen, Freundschaft), aber auch negative Beziehungen (nicht mögen, ärgern), Statuszuschreibungen (beliebt, berüchtigt) und Gewalt zwischen den Schülern (schlagen und treten) erfasst. Dieser Beitrag stellt die Studie „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ vor und präsentiert erste Auswertungen der erhobenen Netzwerkdaten. Betrachtet werden, unter anderem, der Zusammenhang von Gewalttäterschaft mit der Beliebtheit und dem Status im Jahrgang, sowie die Relevanz klassenübergreifender versus klasseninterner Beziehungen.
Schule als Sozialisations- und Präventionsraum
(Universität Münster, Institut für Kriminalwissenschaften)
Schulen sind in den letzten Jahren zu einem beliebten Ort für die Durchführung verschiedenster Kriminalpräventionsprogramme geworden. Neben der Familie sind sie heute eine der wichtigsten Sozialisationsinstanzen für Kinder und Jugendliche. Insbesondere ihre Rolle bei der Norm- und Wertevermittlung ist in Hinblick auf ihr Potential als Kriminalitätspräventionsort interessant und soll mit Daten aus der Panelstudie „Kriminalität in der modernen Stadt“ genauer untersucht werden. Vor allem der Einfluss von Schulklimamerkmalen auf die Schülereinstellungen und zeitlich spätere selbstberichtete Delinquenz in den Klassenstufen 7 bis 10 werden hierzu genauer in den Blick genommen. Die Ergebnisse bieten nützliche Hinweise für die praktische Arbeit an Schulen.
Delinquenz im Kontext Schule aus Sicht der Situational Action Theory
(Universität Hamburg, Institut für Kriminalwissenschaften)
In diesem Vortrag sollen die ersten Analyseergebnisse aus einem Dissertationsvorhaben vorgestellt werden, das Delinquenz im Kontext Schule aus der Perspektive der Situational Action Theory (SAT) empirisch untersucht. Darin steht der Kontext Schule in seiner Bedeutung für Jugenddelinquenz als Handlungskontext und auch als Entwicklungskontext im Fokus: So kann Schule zum einen ein Ort sein, an dem delinquentes Handeln stattfindet. Dabei spielen nicht nur delinquenzbegünstigende Eigenschaften der Schüler eine Rolle, sondern Schule kann selbst auch durch entsprechende Gelegenheiten die Wahrscheinlichkeit für delinquentes Verhalten erhöhen. Zum anderen stellt die Schule eine wichtige Sozialisationsinstanz dar, die sich auch längerfristig und indirekt auf normabweichendes Verhalten auswirken kann, weil sie delinquenzbegünstigende Eigenschaften der Schüler beeinflusst. Anhand der Befragungsdaten von Hamburger Schülern wird aber nicht nur den aus der SAT ableitbaren individuellen und schulischen Einflussfaktoren nachgegangen, sondern insbesondere auch deren Wechselwirkungen: So reagieren der Theorie zufolge Menschen mit bestimmten Eigenschaften auch in bestimmter Weise auf ihr Umfeld, so dass etwa delinquenzbegünstige Schulmerkmale je nach Eigenschaften der Schüler auch entsprechend unterschiedlich wirken können.
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Präsentation: kammigan-2014.pdf
Erklärung von Jugendkriminalität: Eine Anwendung der SAT im Längsschnitt
(Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie, SFB 882 "Von Heterogenitäten zu Ungleichheiten")
Die Situational Action Theory ( (Wikström 2004, 2006) vereint personen-orientierte Ansätze und umweltbedingte Erklärungen und hat durch diesen umweltbedingten Handlungsansatz den Anspruch einer generellen Kriminalitätstheorie. In ihren grundlegenden Annahmen geht die SAT davon aus, dass deviantes und delinquentes Verhalten durch moralische Werthaltungen gesteuert wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine kriminelle Handlung begangen wird, ist einerseits abhängig von der kriminellen Neigung (Propensity) einer Person und andererseits durch ihre Gefährdung in kriminogene Randbedingungen (Exposure). Kriminelle Handlungen sind der SAT zur Folge das Ergebnis eines Wahrnehmungsprozesses, der durch die Interaktion von krimineller Neigung und kriminogenen Randbedingungen erklärt werden kann. Als Datenbasis zur Überprüfung der SAT wird die 2012 gestartete Schülerbefragung „Chancen und Risiken im Lebensverlauf“ herangezogen. Die nach einem Kohorten-Sequenz-Design konzipierte Untersuchung gehört dem Teilprojekt A2 „Die Entwicklung und Entstehung devianten und delinquenten Verhaltens im Lebensverlauf und ihre Bedeutung für soziale Ungleichheitsprozesse“ des SFB 882 „Von Heterogenitäten zu Ungleichheiten“ an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld an. Die Studie führt jährlich Schülerbefragungen in Dortmunder und Nürnberger Schulen durch und wird voraussichtlich bis zum Jahre 2015 fortgesetzt. Die zentralen Hypothesen der SAT werden mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen überprüft. Die Ergebnisse bestätigen weitgehend die von der Theorie postulierten Person-Umwelt-Interdependenzen. Die Bedeutung der Interaktionen zwischen Propensity und Exposure werden durch multiple Grupppenvergleiche überprüft.
Der Beitrag der Theorie altersabhängiger informeller Sozialkontrolle zur Erklärung von Jugenddelinquenz
(Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie, SFB 882 "Von Heterogenitäten zu Ungleichheiten")
Die aus der dynamischen Lebensverlaufsforschung stammende „Age-graded-theory-of-informalsocial-control“ Sampson und Laubs (1993; Laub & Sampson 2003) untersucht unter anderem die Altersabhängigkeit verschiedener institutioneller Einflüsse auf kriminelle und deviante Verhaltensweisen. Sie geht davon aus, dass sowohl soziale Kontexte als auch die damit zusammenhängenden informellen Kontrollstrukturen im Lebensverlauf variieren. Für die Adoleszenz wird beispielsweise postuliert, dass Familie, Schule und Freunde die zentralen Kontrollinstanzen darstellen. Dabei kann die Bindung von Kindern und Jugendlichen zu diesen Institutionen Aufschluss über ihre Bindung an die Gesellschaft geben und somit als Erklärungsrahmen für abweichende und delinquente Verhaltensweisen dienen. Vereint werden hierbei sowohl klassische kontrolltheoretische als auch lerntheoretische Überlegungen. Mit Hilfe quantitativer Fragebögen soll hier der Beitrag des Lebensverlaufsansatzes für die Erklärung von Jugenddelinquenz ausgelotet werden. Der Fokus liegt dabei auf Bindungsvariablen sowie den Einflüssen altersabhängiger informeller Kontrollen auf selbstberichtete Delinquenz bei 11-16 Jährigen.
Unter Verwendung von Strukturgleichungsmodellen können dabei mediierende Effekte der strukturellen Hintergrundvariablen sowie der Bindungsvariablen berücksichtigt werden. Die Analysen werden mit Daten der Längsschnittuntersuchung „Chancen und Risiken im Lebensverlauf“ berechnet, welche in zwei Deutschen Städten (Nürnberg und Dortmund) bereits in der 2. Welle erhoben wurden.
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Präsentation: meinert.2014.pdf
Reduzieren Gewalterfahrungen die organisationale Verbundenheit von Polizeibeamten? Eine Analyse zum Einfluss von Viktimisierung und sozialer Kohäsion auf das affektive Commitment
(Hannover, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Die emotionale Bindung an das Unternehmen („affective organisational commitment“) ist seit 40 Jahren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen bei verschiedensten Berufsgruppen. Als Prädiktoren der Verbundenheit gelten neben soziodemografischen Merkmalen (z. B. Geschlecht) insbesondere arbeitsbezogene Faktoren. So wirken sich etwa organisationale Stressoren (z. B. Zeitdruck, soziale Konflikte) negativ auf die Verbundenheit aus, während der organisationalen Unterstützung ein positiver Effekt zugeschrieben wird. Neben solchen berufsübergreifenden allgemeinen Faktoren ist der Polizeiberuf zudem durch spezifische Merkmale gekennzeichnet, worunter das Erleben von Gewalt als operativem Stressor, aber auch die besonders ausgeprägte Gruppenkohäsion als Ressource gezählt werden können. Bislang finden sich keine Studien, die sich explizit der Frage gewidmet haben, ob Gewalterfahrungen ebenfalls einen negativen Einfluss auf das Ausmaß an Verbundenheit bei Polizeibeamten haben und welche Rolle die soziale Kohäsion in diesem Zusammenhang spielt. Dieser Fragestellungen soll anhand einer standardisierten Befragungsstudie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen von 1.931 niedersächsischen Einsatz- und Streifendienstbeamten nachgegangen werden. Zu diesem Zwecke durchgeführte OLS-Regressionen belegen selbst unter Kontrolle anderer, in der Commitment-Forschung als relevant geltender Einflussfaktoren, einen direkten negativen Zusammenhang zwischen Viktimisierung und organisationaler Verbundenheit. Zudem lässt sich ein Puffereffekt der sozialen Kohäsion feststellen. Demzufolge reduziert sich das Commitment nach Gewalterfahrungen insbesondere bei geringer sozialer Kohäsion der Dienstgruppe. Für männliche und weibliche Beamte zusätzlich berechnete getrennte Modelle weisen zudem auf einige geschlechtsspezifische Einflussfaktoren hin.
Kennzeichnungspflicht von Polizeibediensteten
Die Kennzeichnungspflicht von Polizeibediensteten wird in den letzten Jahren erneut stark in der Öffentlichkeit diskutiert. Hintergrund sind u.a. die Differenz zwischen dem Anstieg der Gewalt durch Polizeibeamte gegenüber Bürgern und den eingeleiteten Strafverfahren, die mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurden (vgl. Singelnstein 2010, 55; AI 2010). Oftmals ist eine Rückverfolgung auf Polizeibediensteten nicht möglich, da diese keine Namens- oder Nummernschilder tragen und/oder sich durch eine falsch verstandene „Cop Culture“ in eine Mauer des Schweigens hüllen. Von den Gewerkschaften wird oft postuliert, dass die Gewalt gegen Polizeibeamte zugenommen habe; die von den Beamten ausgehende Gewalt aber wird verschwiegen.
Die Befürworter (z.B. AI 2010, Deutscher Anwaltverein 2010) sehen in der Kennzeichnungspflicht die Aussicht auf mehr Kontrolle und Transparenz bei der Polizei. Personalräte, Gewerkschaften als auch Polizeibedienstete selbst nehmen sie als ein generelles Mißtrauensvotum auf, und befürchten, einer individuellen Gefahr ausgesetzt zu werden. (vgl. GdP 2011; Ladebeck 2012). Nur wenige deutsche Bundesländer haben bisher eine Kennzeichnungspflicht eingeführt. Empirische Erhebungen, die sich für ein Pro oder Contra aussprechen, sind Mangelware.
Der Vortrag fokussiert die Argumentationen einer möglichen Kennzeichnungspflicht und nimmt Bezug auf jüngste Gewaltereignisse und entsprechende Drohungen gegen die Polizei in Hamburg, durch welche sich die Gegner in ihrer Hauptargumentationen bestätigt fühlen.
- Ladebeck, W. (2012). Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und –beamten. Polizeiliches Handeln ist auch ohne Namensschild transparent. Polizeispiegel, 46 (Mai), 2.
- Singelnstein, T. (2010). Polizisten vor Gericht. Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 95, (1), 55-63.
Terroristische Anschläge und Sicherheitsbehörden – ein spieltheoretisches Modell der wechselseitigen Handlungskalkulation von Sicherheitsbehörden und Terroristen
(Freiburg, Max-Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht)
Als eines der Resultate eines Forschungsprojektes zu Hinweisfaktoren auf jihadistisch motivierte Terroranschläge wird das Verhalten von Sicherheitsbehörden, die Reaktion von terroristischen Angreifern auf dieses und die hieraus entstehende gegenseitige Abhängigkeit der Handlungen der Beteiligten analysiert.
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Präsentation: boehme-2014.pdf
Optimierung der Lockerungsentscheidung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB unter Anwendung der "Checkliste zur Vergabe von Lockerungen"
(Universität Rostock, Klinik für Forensische Psychiatrie)
In der Praxis des Maßregelvollzugs nimmt die Frage der Gewährung von Lockerungen einen erheblichen Stellenwert ein. Ihr Einsatz sollte sich stets an klar definierten Zielen orientieren. Ihnen kann eine direkte therapeutische Funktion zukommen, z.B. zum Einüben gezielter prosozialer Fertigkeiten und Verhaltensweisen. Sie werden außerdem als Möglichkeit der Belastungserprobung genutzt und sind insbesondere im Rahmen von Entlassungsvorbereitungen nicht verzichtbar. Die Entscheidung, ob Lockerungen durchgeführt werden können, hängt neben dem Erreichen therapeutischer Zwischenschritte jedoch auch immer von einer prognostischen Beurteilung ab, ob es im Rahmen der Lockerung zu Normverstößen kommen wird. Ziel unseres Modellprojektes war es, standardisierte und operationalisierte Faktoren zu identifizieren, um die Zuverlässigkeit von kurz- und mittelfristigen Prognoseentscheidungen zu erhöhen und somit die Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Lockerungen anhand einheitlicher und strukturierter Beurteilungskriterien zu optimieren. Daraus folgte die Anpassung der „Checkliste zur Vergabe von Lockerungen“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern, welche Rückschlüsse auf den Behandlungsverlauf sowie eine individuelle Risikobeurteilung ermöglichen soll. In einer Erprobung der vorläufigen Testversion in der Klinik für Forensische Psychiatrie Rostock konnte gezeigt werden, dass die veränderte Checkliste der Forderung nach Berücksichtigung von entsprechenden Risiko- und protektiven Faktoren bei der Lockerungsentscheidung nachkommt. Einerseits werden Faktoren, die ein höheres Risiko eines Lockerungsmissbrauchs bergen, verdeutlicht. Andererseits ist eine Überprüfung von Therapiefortschritten möglich, da gleichermaßen Faktoren hervorgehoben werden sollen, die Lockerungen ohne das Risiko eines Rückfalls wahrscheinlich machen.
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Präsentation: maass-2014.pdf
Von der Vorhersage von Therapieabbrüchen zur Verhinderung erneuter Straftaten
(Celle, Kriminologischer Dienst im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges)
Eine Reihe von Einzelstudien und Metaanalysen (z.B. McMurran & Theodosi, 2007; Olver, Stockdale & Wormith, 2011; Schmucker & Lösel, 2005; Seager, Jellicoe & Dhaliwal, 2004) legt nahe, dass abgebrochene (Kriminal-)Therapien mit höheren Rückfallrisiko im Vergleich zu nicht behandelten Straftätern mit gleicher Risikokonstellation einhergehen. Die gute Absicht der Behandlung kann so im schlimmsten Fall zu erhöhter Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten führen.
Der Strafvollzug muss entsprechend dieser Befunde und seiner Zielsetzung (z.B. §5 Satz 1 NJVollzG) daran interessiert sein, potentielle Therapieabbrüche frühzeitig zu identifizieren, um nach Möglichkeit individuell besonders tätig zu werden.
Im Rahmen der Evaluation der Sozialtherapie konnten Merkmale zur Vorhersage eines Abbruchs der Sozialtherapie identifiziert werden. Obwohl diese Therapieabbrüche nicht kausal erklären können, sind Sie für Praktiker nützlich: Wer vor Beginn der Behandlung die Passung von Person und Programm kennt, kann eine geeignete Maßnahmen auswählen oder rechtzeitig gegensteuern. Systematisch erhoben könnten Behandlungsprogramme durch diese Befunde erweitert und ergänzt werden, um Abbrüche zu vermeiden und erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen.
Der Beitrag berichtet die Ergebnisse zur Vorhersage von Therapieabbrüchen und diskutiert unter Berücksichtigung der Psychotherapieforschung mögliche Reaktionen, um durch das Vorhersagen von Therapieabbrüchen letztlich doch neue Straftaten zu verhindern.
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Präsentation: gueridon-2014.pdf
Deutungsmuster von Strafe. Eine Untersuchung am Beispiel der Geldstrafe
Die Strafsoziologie versteht Strafe als eigenständiges soziales Phänomen und untersucht ihre Spuren im sozialen Leben. Die Geldstrafe ist bisher kaum erforscht. Ihr Ziel ist eine ambulante Sanktionierung durch monetäre Bemessung der Schuld, sie soll nach außen unsichtbar bleiben und kein soziales Stigma mit sich bringen. In der Realität hat sie unterschiedliche Wirkungen, denn wer nicht bezahlt muss eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Ich untersuche ich die Ausdeutung der Strafe durch Verurteilte. Dabei eruiere ich gesellschaftliche Deutungsmuster, auf die verurteilte Personen rekurrieren und die im Hinblick auf die Akzeptanz der Strafe und die Konsequenzen für den Umgang mit ihr handlungsrelevant werden. Das Deutungsmusterkonzept geht davon aus, dass Akteure auf sozial verfügbare Deutungsangebote zurückgreifen, die Modelle von ‚typischen' Situationen bereitstellen und so erlebte Realität durch Komplexitätsreduktion ‚bewältigbar' machen. Die Datenbasis besteht aus 44 leitfadengestützten diskursiven Interviews mit Verurteilten. Die herausgearbeiteten Deutungsmuster beschäftigen sich mit der Strafe unter zwei Oberkategorien: Unter der Kategorie der Deutungsmuster ohne moralische Dimension deuten die Befragten die Strafe als Geld statt Strafe, Strafe als Schicksal sowie als Risikokalkül. Unter der zweiten Oberkategorie beschäftigen sich die Befragten mit der Legitimität von Strafe, mit Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Im Vortrag werden die Deutungsmuster ausführlich dargestellt.
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Präsentation: boegelein-2014.pdf
Rechtliche Probleme der Telefonpraxis im Strafvollzug
(Freie Universität Berlin, Fachbereich Rechtswissenschaft)
Im Zuge meiner juristisch kriminologischen Dissertation Telefonieren im Strafvollzug (Arbeitstitel) habe ich 20 Justizvollzugsanstalten (JVAen) mittels eines leidfadengestützten Experteninterviews zu den Telefonmöglichkeiten der Inhaftierten im Strafvollzug befragt. Es wurden jeweils fünf Interviews in JVAen in Berlin, Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Befragung würden ich gerne während der Tagung vorstellen und anschließend die möglichen rechtlichen Probleme, die aus der jeweiligen Praxis resultieren, erläutern. Dabei werde ich die Ausgestaltung der Telefonmöglichkeiten darstellen und die jeweiligen (sofern vorhanden) Telefonkonzepte der JVA wiedergeben. Die Ausgestaltung der Telefonmöglichkeiten ist in der Strafvollzugspraxis sehr vielfältig und die Unterschiede drücken sich sowohl in dem generellen Zugang zum Telefon als auch in unterschiedlichen Sicherheitsvorkehrungen der Anstalten aus. Die Sicherheitsvorkehrungen, die der Sicherheit der JVA und dem Schutz der Bevölkerung dienen, sind mit zahlreichen Rechtseinschränkungen für die Inhaftierten verbunden und können gleichzeitig deren Resozialisierung behindern. Insofern entstehen durch die Sicherheitsvorkehrungen zahlreiche rechtliche Konflikte, die ich darstellen möchte, um anschließend erste Lösungsansätze zu präsentieren.
Nonresponse bias in (kriminologischen) Zusammenhangsanalysen
(Wiesbaden, Bundeskriminalamt)
Kriminologische Forschungserkenntnisse beziehen sich zu einem Großteil auf Ergebnisse von Befragungen, die heutzutage – abhängig vom Erhebungsmodus und des spezifischen Untersuchungsthemas – teils bedenklich niedrige Ausschöpfungsquoten aufweisen. Auch wenn niedrige Ausschöpfungsquoten nicht zwingend mit Verzerrungseffekten der interessierenden Zielvariablen einhergehen (Groves, 2006; Groves/Peytcheva, 2008), so ist die Repräsentativität der Ergebnisse doch zumindest in Frage zu stellen – vor allem wenn sich Respondenten und Nonrespondenten (wie regelmäßig angenommen werden muss) systematisch unterscheiden (Groves/Couper, 1998). Für die Bestimmung des Nonresponse-bias in Umfragen existieren mittlerweile verschiedene Untersuchungsmethoden. Liegen allerdings (wie in Deutschland häufig der Fall) keine direkten Informationen über Nonrespondenten vor, kann bestenfalls auf die Heranziehung verschiedener Paradaten oder Informationen sogenannter „Konvertiten“ (also weiche Verweigerer) zurückgegriffen werden. Im Rahmen der vom BKA in Auftrag gegebenen Viktimisierungsbefragung „Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSiD)“, für die knapp 35.000 Personen zu ihren Viktimisierungserfahrungen, kriminalitätsbezogenen Einstellungen und verschiedenen kriminologischen
Erklärungsvariablen befragt wurden, sind solche Informationen gesammelt worden.
In dem Vortrag sollen auf Basis dieser (Proxy)informationen von Nonrespondenten Zusammenhangsanalysen für verschiedene (kriminologisch) relevante Variablen präsentiert werden. Aus mehreren Gründen erscheint es dabei notwendig die verschiedenen Gründe von Nonresponse (Verweigerung, Nicht-Erreichbarkeit und Nicht-Befragbarkeit) separat zu betrachten. Inhaltlich soll primär die Frage im Fokus stehen, ob und in welchem Umfang Verzerrungseffekte durch Nonresponse zu erwarten sind und ob diese Verzerrungen mit klassischen Gewichtungsverfahren korrigiert werden können.
Ethnizität und Gewaltkriminalität: Validität von Selbstberichten türkischstämmiger Jugendlicher
(Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung)
Studien zur Validität von selbstberichteter Delinquenz zeigen, dass Angaben zum eigenen delinquenten Verhalten zwar in gewissem Rahmen von Antwortverweigerungen und Underreporting betroffen sind, jedoch grundsätzlich valide zu sein scheinen und gut mit externen Datenquellen, wie etwa Polizeiberichten, übereinstimmen. Es bestehen hierbei jedoch Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen (Problem der differentiellen Validität). Ethnische Minderheiten scheinen weniger dazu zu neigen, an Befragungen teilzunehmen und eigenes kriminelles Verhalten in Befragungen zu berichten. Daher ist Forschung zum Zusammenhang zwischen ethnischer Herkunft und Kriminalität in besonderem Maße mit dem Problem der differentiellen Validität der Selbstberichte konfrontiert. Der Beitrag untersucht anhand von Schülerdaten aus dem DFG-Projekt „Freundschaft und Gewalt im Jugendalter“ in welchem Maße die Selbstberichte zum eigenen gewalttätigen Verhalten von türkischstämmigen Jugendlichen von geringerer Validität betroffen sind. Verwendung finden hierbei sowohl Eigen- und Fremdnominierungen als Gewalttäter in den erhobenen Schülernetzwerken als auch eine sprachliche Analyse der Schülernamen von Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern (Onomastik-Verfahren). Erste Analysen weisen darauf hin, dass der Befund keiner erhöhten Gewaltneigung bei türkischstämmigen Jugendlichen in der untersuchten Population nicht ausschließlich auf eine geringere Validität der Selbstberichte zurückzuführen ist.
Zum Vergleich inzidenzbasierter Anzeigequoten
(Universität Hamburg, Institut für Kriminalwissenschaften)
Die Kenntnis von inzidenzbasierten Anzeigequoten ist wesentlich, um Veränderungen des offiziell registrierten Kriminalitätsvolumens interpretieren zu können. Allerdings sind Schätzungen inzidenzbasierter Anzeigequoten (Anzahl der Anzeigen pro Viktimierungsereignis) anhand von Befragungsdaten ungenau und wenig stabil, was den Vergleich von Anzeigequoten über Regionen, Teilgruppen oder die Zeit hinweg erschwert. Ein Teil der mangelnden Präzision ist auf erratisches Antwortverhalten der Befragten zurückzuführen, insbesondere auf extrem hohe und unplausible Angaben zur Häufigkeit von Viktimisierungen. In dem Beitrag wird eine Methode zum Umgang mit Ausreißern und Extremwerten vorgestellt, die auf theoretischen Annahmen über die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ereignisse basiert. Zusätzlich wird eine Methode (bootstrapping) vorgestellt, um die Stichprobenfehler und Konfidenzintervalle der Anzeigequoten zu berechnen. Die Machbarkeit, Nützlichkeit und Relevanz des Verfahrens wird demonstriert, indem auf Befragungsdaten gestützte Anzeigequoten verschiedener Regionen und über die Zeit hinweg verglichen und mit dem üblichen “quick and dirty”-Verfahren kontrastiert werden.
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Präsentation: enzmann-2014.pdf
Rücklaufquoten bei postalischen Befragungen zur Kriminalität
(Hannover, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Der Frage, wie sich der Rücklauf von postalischen Befragungen beeinflussen lässt, wurde bereits in verschiedenen Studien nachgegangen. Im Vortrag wird eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen vorgestellt, in der insgesamt vier verschiedene Versionen einer niedersachsenweit repräsentativen, postalischen Befragung getestet wurden. In der Hauptbefragung wurde allen Fragebögen 5 Euro beigelegt. In einer weiteren Version wurde auf die 5 Euro verzichtet. Zudem wurde eine deutlich gekürzte Version des Fragebogens eingesetzt sowie eine Version, in der auf Fragen zu delinquenten Täterschaften verzichtet wurde.
Wege und Weichen wiederholter Jugenddelinquenz
(Universität Bielefeld, Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung)
Das Thema „Mehrfachtäterschaft im Jugendalter“ hat in den letzten Jahren durch verschiedene Vorfälle, die durch die Medien nicht nur publik, sondern auch befeuert wurden, eine starke Emotionalisierung erfahren. Aber auch in der Fachliteratur wird zuweilen hitzig über die sogenannten Mehrfach- bzw. IntensivtäterInnen diskutiert. Während einzelne Studien existieren, die sich mit den Bedingungen und Hintergründen beschäftigen, die zum Abbruch von delinquenten Karrieren im späten Jugend- bzw. jungen Erwachsenenalter führen, ist seitens der Forschung bislang ungeklärt, wann es zur Ausbildung delinquenter Karrieren kommt und ob diejenigen Bedingungen, die bei durchschnittlich delinquenzbelasteten Jugendlichen bisher zur Erklärung von Persistenz oder Nicht-Persistenz herangezogen wurden, auch für wiederholt auffällige Jugendliche ausschlaggebend sind.
Ziel unserer Studie war es daher, die Dynamiken dieser ‚Karrieren‘ sowohl aus der Perspektive der Jugendlichen als auch deren Erziehungsberechtigten sowie LehrerInnen zu rekonstruieren, um die Weichenstellungen beim Übergang von episodisch ausgeführter Delinquenz zur Verfestigung delinquenter Karrieren näher in den Blick zu bekommen. Leitende Annahme dabei war, dass neben den biographisch frühen Beeinträchtigungen und den Chancenstrukturen der aktuellen Lebenssituation, vor allem Prozesse von Desintegration und verweigerter Anerkennung nicht nur für den Einstieg, sondern ebenso für die Verfestigung delinquenter Verhaltensmuster eine maßgebliche Rolle spielen. Im Anschluss an unseren Beitrag im Vorjahr sollen dieses Jahr die Ergebnisse unseres Panels und der qualitativen Teilstudie im Fokus des Vortrages stehen.
Der Übergang in das Erwerbsleben und Delinquenz
(Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie)
Der Vortrag behandelt den Übergang in das Erwerbsleben im deutschen Bildungssystem und dessen Einfluss auf delinquentes Verhalten und (delinquente) Einstellungen. Ausgehend von kontroll- und verhaltenstheoretischen Überlegungen wird angenommen, dass der Eintritt in das Berufsleben (in der Regel in Form einer Berufsausbildung), sowohl durch Akkumulation personalen Kapitals, als auch durch die Schaffung neuer Routineaktivitäten delinquenzreduzierende Effekte aufweist. Gleichzeitig kann auf der Grundlage handlungstheoretischer Überlegungen angenommen werden, dass Verhaltensweisen und Einstellungen, die dem Übergang zeitlich vorgelagert sind, diesen ihrerseits beeinflussen. Aus den theoretischen Vorannahmen ergeben sich drei Fragen, die in dem Vortrag diskutiert werden sollen: (1) Wie wird der Eintritt in bestimmte Übergangsmuster durch vorangegangene Delinquenz, Einstellungen und andere Variablen beeinflusst? (2) Wie beeinflusst der Übergang in das Erwerbsleben den Delinquenzverlauf und delinquente Einstellungen? (3) Ist die Qualität einer Arbeitsstelle von Belang für deren Effekt auf die Delinquenz? Der Vortrag stellt einen Anschluss an die Ergebnisse dar, welche auf dem NordKrim 2013 vorstellt wurden. Daher wird insbesondere auf die Umsetzung von Anregungen aus der Diskussion des Vorjahres eingegangen werden. Die dargestellten Ergebnisse beruhen auf den Daten der DFG-Studie „Kriminalität in der modernen Stadt“.
Gewalt als Sanktionshandlung
Im Rahmen des Vortrags soll die basale Idee von Gewalt als Sanktionshandlung theoretisch erläutert und empirisch überprüft werden. Grundlegend geht es im Dissertationsprojekt um die Frage, inwieweit jugendlichen Gewalthandlungen eine sanktionierende Absicht zugeschrieben werden kann. Dies hat vor allem für die Frage der Genese und Beschaffenheit von Gewalt als eine Form der sanktionierenden Reaktion Folgen und bietet neben der reinen Betrachtung der Tat auch die Möglichkeit, gewalthaltiges Verhalten als Resultat zu begreifen. Mithilfe der Theorie sozialer Kontrolle nach Allan V. Horwitz (1990) wird nicht nur eine Heuristik für das Phänomen ‚Gewalt‘ angeboten, sondern es wird ebenso ein spezieller theoretischer Blick ermöglicht: Der Einsatz von Gewalt kann als eine von vielen Formen sozialer Kontrolle betrachtet und anhand der hierarchischen, relationalen und individuellen Bedingungen sowie den dahinter liegenden Sanktionsabsichten lokalisiert werden. Die im DFG-Projekt ‚Kriminalität in der modernen Stadt‘ erhobenen Daten zu selbstberichteter Delinquenz werden in Kombination mit einer in 2013 neu eingeführten Vignette als empirische Basis für das angestrebte Projekt dienen und sollen im Rahmen des Vortrags anhand erster Analysen präsentiert und diskutiert werden. Zusätzlich soll die Weiterentwicklung der im letzten Jahr präsentierten ersten Konzeption des Projektes thematisiert werden.
Sanktionen und Jugenddelinquenz – Abschreckung bei Exklusion?
(Universität Münster, Rechtswissenschaftliche Fakultät)
Formelle soziale Kontrolle durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte wird mit dem Ziel der Resozialisierung gerechtfertigt. Strafen sollen zudem abschreckend wirken und so von künftigen Strataten abhalten. Aber funktioniert das auch? Durch den Labeling-Approach werden das Resozialisierungspotential und die Abschreckungswirkung des Strafrechts und seines Vollzugs seit vielen Jahrzehnten in Frage gestellt. Stigma und Exklu-sion gelten als wichtige Ursachen sekundärer Delinquenz treiben.
Der Rational Choice-Ansatz versteht die Strafe als Kostenpunkt, der bei vernunftbasierter Abwägung abschreckende Wirkung entfalten soll. Entscheidend soll sich ein gesteigertes antizipiertes Entdeckungsrisiko auswirken. Wenig Beachtung fand jedoch bislang die Fra-ge, ob die Bereitschaft zu rationaler Abwägung, und damit die verhaltensbezogene Be-deutung des Risikokalküls, von der Umgebung (z.B. durch den Freundeskreis) beeinflusst wird.
In dem Vortrag wird zum einen erörtert werden, ob staatlichen Interventionen überhaupt bedeutsamer Einfluss auf die Risikoeinschätzung zukommt. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, ob ein möglicherweise verhaltenslenkender Effekt des Risikokalküls durch eine delinquente Umgebung konditioniert sein kann. Mit den Daten der prospektiven DFG-Panelstudie "Kriminalität in der modernen Stadt" werden Strukturgleichungsmodelle im Längsschnitt gerechnet, die auf Angaben zur selbstberichteten Dunkelfelddelinquenz und auf den Informationen aus Erziehungs- und Bundeszentralregister basieren.
Menschenhandel: Die Rolle der Frau als (Mit)Täterin – Herausforderung an eine feministische Theoriebildung
(Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft)
Kaum einem anderen Thema wurde in den letzten Jahren weltweit eine derartige Aufmerksamkeit zuteil wie dem Menschenhandel. Aufhorchen lassen Untersuchungsergebnisse, wonach der Anteil der (mit)täterschaftlich beteiligten Frauen außergewöhnlich hoch sei. Es wird von einer 23 bis 40%igen Tatbeteiligung von Frauen ausgegangen (UNODC 2009, 2012). Auch wenn diese Schätzungen die Hellfelddaten der weiblichen Kriminalitätsbeteiligung zum Teil bei weitem übersteigen, findet kaum eine intensivere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema statt.
Ziel der geplanten Untersuchung ist es, den Sachverhalt des vermuteten bzw. geschätzten hohen Tatbeteiligungsanteil von Frauen im Kriminalitätsfeld Menschenhandel in einem theoriegenerierenden Verfahren erklärbar zu machen, bzw. die bestehenden Theorien der feministischen Kriminologie, um wissenschaftliche Erkenntnisse in einem weitgehend unerforschten Gebiet zu erweitern. In qualitativen, problemzentrierten, leitfadengestützten Interviews zum Delikt sollen die Täterinnen über ihre subjektiven Erfahrungen (Lebensweg, Lebensumstände, Einstieg ins Milieu), ihre Funktionen und Aufgaben, ihre Meinungen und Anschauungen berichten und dadurch tiefere Einblicke in die Funktionsweise und Strukturen des illegalen Netzwerks ermöglichen.
Der Erkenntnisgewinn soll durch ein induktiv-deduktives Wechselspiel in der Erhebungs- und Auswertungsphase erzielt werden. Die weibliche Tatbeteiligung soll im Kontext ihrer geschlechtsspezifischen (gendered) sozialen Positionierung analysiert werden; das illegale Verhalten hierbei als ein, aus einem kausalen Zusammenwirken von bestehenden soziostrukturellen Bedingungen, einem rationalen Nutzenkalkül, einem subjektiven Werte- und Moralverständnis und aus situationalen Aspekten, resultierendes Verhalten erklärt werden..
Die Angst vor Stigmatisierung und dem Verlust der Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinde – Überlegungen zur Aufdeckungsproblematik von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche
(Hannover, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Das Phänomen des sexuellen Kindesmissbrauchs in katholischen Institutionen und Gemeinden geriet in Deutschland mit dem Bekanntwerden zahlreicher Vorfälle Anfang 2010 in den Fokus der öffentlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Seitdem sind vereinzelt empirische Arbeiten über sexuellen Missbrauch in institutionellen, weniger jedoch speziell in kirchlichen Kontexten entstanden. Die am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführte qualitative Interviewstudie greift dieses Desiderat auf. Es handelt sich hierbei um ein laufendes Projekt, in dem 15 biographisch angelegte, teilnarrative Leitfadeninterviews mit erwachsenen männlichen und weiblichen Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche durchgeführt wurden. Im Zentrum des Vortrags steht die Problematik der Aufdeckung derartiger Viktimisierungserfahrungen, die eng mit Ängsten der Betroffenen hinsichtlich möglicher Folgen der Offenbarung ihrer Erlebnisse verknüpft ist. Es zeigt sich fallübergreifend eine tief verankerte Angst vor ablehnenden Reaktionen, Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen durch das soziale Umfeld und einem hiermit verbundenen Verlust von Zugehörigkeiten zur Familie und kirchlichen Gemeinde. Dabei wird in den Narrativen ein Zusammenhang zwischen der Befürchtung negativer Fremdzuschreibungen und eigenen Scham- und Schuldgefühlen sichtbar. Jene Deutungsweisen sowie die Einbindung in die örtlichen kirchengemeindlichen Strukturen erschweren eine Aufdeckung der erlebten sexuellen Gewalt erheblich: Ein Großteil der interviewten Betroffenen hat über die sexuellen Übergriffe jahrzehntelang geschwiegen und manche von ihnen haben bis heute die Vorfälle ihrem näheren sozialen und familiären Umfeld nicht mitgeteilt.
Individuelle Bedingungen für die Inanspruchnahme von Whistleblowing-Systemen am Beispiel von Hinweisgeberverhalten im Gesundheitswesen
(Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie)
Durch die aktuelle Debatte um die Enthüllungen Edward Snowdens erneut in den Fokus gerückt, untersucht das Forschungsprojekt Entscheidungsprozesse, die dem Hinweisverhalten von Whistleblowern zugrunde liegen. Darauf zugeschnittene Whistleblowingsysteme – i.S. institutionalisierter Aktivierung von Informanten und Deliktinsidern – gewinnen bei der unternehmensinternen ebenso wie der staatlichen (strafrechtlichen) Wirtschaftskontrolle von z.B. Korruption und Betrug zunehmend an Bedeutung.
International sind entsprechende Hinweisgeber-Einrichtungen (vor allem im angloamerikanischen Bereich) bereits fest etabliert. In Deutschland wird über deren Eignung und deren rechtliche und ethische Aspekte noch (intensiv) diskutiert. Diese Auseinandersetzung leidet indes darunter, dass das Wissen über Whistleblower-Verhalten nur fragmentarisch und auch nicht ohne weiteres generalisierbar ist. Das Projekt sucht deshalb über einen qualitativen Ansatz (Interviews mit Whistleblowern, schwerpunktmäßig aus dem Gesundheitswesen) die entscheidungserheblichen Faktoren und deren prozesshaftes Zusammenwirken herauszuarbeiten, um der rechts-/kriminalpolitischen Debatte eine empirisch-kriminologische Grundlage zu geben. Das Projekt befindet sich derzeit in der finalen Auswertungsphase, so dass bis zum Vortragszeitpunkt die abschließenden Ergebnisse vorliegen dürften.
Phänomen Wohnungseinbruch – was wir wissen und (noch) nicht wissen
(Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Der Vortrag befasst sich mit dem hierzulande derzeit viel diskutierten Phänomen "Wohnungseinbruchsdiebstahl" (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Zu Beginn erfolgt ein Überblick zu Ergebnissen einer eingehenden Analyse amtlicher Kriminalstatistiken. Diese Befunde geben Anlass zur Sorge: So ist für den Zeitraum 2006-2012 in Deutschland eine erhebliche Steigerung in diesem Deliktsbereich festzustellen, und die Aufklärungsquoten verharren seit Jahren ebenso auf niedrigem Niveau wie die Anklage- und Verurteilungsraten. Zudem zeigen sich gravierende regionale Unterschiede in der Häufigkeit sowie in der polizeilichen und justiziellen Bearbeitung des Wohnungseinbruchs.
Im Anschluss werden neben Forschungsbefunden zu den Tätern bzw. Tatverdächtigen des Wohnungseinbruchs insbesondere die Folgen behandelt, die eine solche Tat für die Betroffenen zeitigt. Umfangreiche Erkenntnisse hierzu liefert eine repräsentative Dunkelfeldbefragung des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsens (KFN) von 2011. Deren Ergebnisse werden präsentiert.
Abschließend wird ein weiteres Forschungsprojekt des KFN zum Wohnungseinbruchsdiebstahl vorgestellt. Es wird derzeit mittels einer Analyse von über 3,000 Straf- bzw. Ermittlungsakten und einer Befragung von 2,500 Opfern des Wohnungseinbruchs in fünf bundesdeutschen Großstädten durchgeführt. Die Studie hat neben einer vertiefenden Analyse der Folgen für die Betroffenen die erheblichen regionalen Unterschiede zum Gegenstand, welche bei der Auswertung amtlicher Kriminalstatistiken für den Bereich von Taten nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB erkennbar geworden sind.
Materialien
Präsentation: bartsch-etal-2014.pdf
Unterbringung und Behandlung junger Gewalt- und Sexualstraftäter im Strafvollzug
(Universität Göttingen, Institut für Kriminalwissenschaften)
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt „Gefährlichkeit von Strafentlassenen nach langen Jugendstrafen“ möchte grundlegende Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Strafentlassenen nach langen Jugendstrafen gewinnen. Hierzu wird eine bundesweite Analyse von Bundeszentralregisterauszügen sowie Straf- und Gefangenenpersonalakten von jungen Tätern durchgeführt, die wegen eines Gewalt- oder Sexualdeliktes zu einer mindestens fünfjährigen Jugendstrafe verurteilt wurden und diese voll verbüßt haben. Ergänzend dazu wurde eine schriftliche Befragung der Justizvollzugsanstalten durchgeführt, um zu klären, wie der Justizvollzug den Haftalltag von Gefangenen organisiert, die eine lange Jugendstrafe verbüßen. Diese Betrachtung ermöglicht es, Aussagen über die Unterbringung dieser Gefangenengruppe, die Ausgestaltung von schulischen, beruflichen und therapeutischen Maßnahmen, die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen sowie die Entlassungsvorbereitungen zu treffen. In die Befragung einbezogen wurden bundesweit alle Jugendstrafvollzugsanstalten sowie die darin befindlichen sozialtherapeutischen Abteilungen. Aufgrund der nach § 89b JGG möglichen Überführung der Jugendstrafgefangenen in den allgemeinen Strafvollzug wurden auch die Erwachsenenstrafvollzugsanstalten und diesen angegliederte sozialtherapeutische Abteilungen bzw. die eigenständigen sozialtherapeutischen Anstalten der Bundesländer analog zu den Jugendstrafvollzugsanstalten befragt. Hier sollen nun erste Ergebnisse dieser Erhebung vorgestellt werden. Auf die folgenden Fragen wird eingegangen:
1) In welcher Form gestaltet der (Jugend-)Strafvollzug die Unterbringung und Behandlung von Gefangenen, die eine mehr als fünfjährige Jugendstrafe aufgrund eines Gewalt- oder Sexualdelikts verbüßen?
2) Welche Besonderheiten gibt es hinsichtlich der Unterbringung und Behandlung dieser Gefangenengruppe?
3) Wo sehen die (Jugend-)Strafvollzugsanstalten einen Verbesserungs- bzw. Veränderungsbedarf?
Anstaltsmerkmale und Gewalt in Gefängnissen – Ergebnisse aus Niedersachsen
(Hannover, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Ergebnisse internationaler Studien zu Viktimisierungserfahrungen im Justizvollzug lassen vermuten, dass neben individuellen Charakteristika der Insassen auch Merkmale der Justizvollzugsanstalten einen Einfluss auf das Ausmaß von Gewalt im Vollzug haben. So zeigt sich beispielsweise in der vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen 2010 und 2011 in fünf Bundesländern durchgeführten Studie zu Viktimisierungserfahrungen im Justizvollzug (vgl. Baier & Bergmann, 2012), dass in Anstalten mit einer positiven Beziehung zwischen Insassen und Bediensteten, das Risiko für Gefangene Täter zu werden, geringer ist als in Anstalten in denen die Beziehung zwischen Insassen und Bediensteten weniger positiv ausgeprägt ist. Um dieser These weiter nachzugehen, führte das KFN zusammen mit dem Kriminologischen Dienst Niedersachsen im Frühjahr 2013 eine Zusatzerhebung verschiedener Anstaltsmerkmale in den Justizvollzugsanstalten Niedersachsens durch. Ziel dieses Beitrags soll es sein, die Ergebnisse der Zusatzbefragung zu präsentieren. Darüber hinaus soll mittels Mehrebenenanalyse geprüft werden, welche der neu erhobenen Anstaltsmerkmale in einem Erklärungsmodell (unter Kontrolle individueller Charakteristika der Insassen) zu Gewalthandeln im Strafvollzug signifikant beitragen können.
Evaluation des neu eingeführten Jugendarrestes neben einer Jugendstrafe, § 16a JGG
(Hannover, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen)
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. übernimmt im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz die bundesweite, wissenschaftliche Evaluation des neu eingeführten Jugendarrestes neben der zur Bewährung ausgesetzten Vollstreckung oder Verhängung einer Jugendstrafe nach § 16a JGG. Mit diesem rechtstatsächlichen Forschungsvorhaben sollen Anwendung, Ausgestaltung und Wirkungen dieser neuen jugendstrafrechtlichen Sanktion empirisch untersucht werden. Im Zuge schriftlicher Befragungen wird einerseits die Einstellung von Justizpraktikern zum neu eingeführten Jugendarrest nach § 16a JGG repräsentativ erhoben, darüber hinaus sollen umfangreiche Aktenanalysen Aufschluss über die tatsächliche Anwendung dieser Norm geben. Die Qualität der pädagogischen Behandlung im Arrestvollzug wird sowohl durch schriftliche Befragungen als auch durch teilnehmende Beobachtungen der Praxis vor Ort wissenschaftlich evaluiert. Der Vortrag behandelt neben dem rechtlichen Kontext des neuen Sanktionsinstruments, insbesondere das Untersuchungsdesign und die Erkenntnisinteressen dieser Studie.
Materialien
Präsentation: hagl-bartsch-2014.pdf
(aktualisiert: 30.05.2014)