Gastvortrag: Wie Anwälte zur Wertschöpfung beitragen
5. Mai 2017, von Internetredaktion

Foto: UHH/CESL
Harvard-Gastprofessor Alain Laurent Verbeke erklärt Studierenden der China-EU School of Law die Grundregeln erfolgreichen Verhandelns. Anwälte können in einer Gesellschaft zur Wertschöpfung beitragen, indem sie Vereinbarungen treffen, von denen alle Seiten profitieren, argumentiert er.
Hörsaal 306, die Jurastudenten Zang Wenbin und Chen Huode sind beim Armdrücken. Die Ellbogen abgestützt auf der hölzernen Tischplatte, umklammern sich fest ihre Handinnenflächen. So fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. In Zang Wenbins Gesicht spiegelt sich nur eine Frage: „Er oder ich? Wer gewinnt jetzt?“. Zang Wenbin verzerrt das Gesicht, presst dann schnell Chen Huodes Hand auf die Tischplatte – und die beiden Studenten legen sofort wieder ihre Hände ineinander für die nächste Runde. Um sie herum sind rund 100 Studierende der China-EU School of Law und der Civil, Commercial and Economic Law School ebenfalls eifrig mit nichts anderem beschäftigt als Armdrücken. Es ist Mittwochabend, Professor Alain Laurent Verbeke hält einen Gastvortrag zum Thema „Können Anwälte Wert schaffen?“. Zum Einstieg hat er die Studierenden zum Armdrücken aufgefordert, und bat sie, so viele Punkte zu machen wie in 15 Sekunden möglich, wobei jeder Kontakt eines Handrückens mit der Tischfläche einen Punkt bedeutet.
„Die Zeit ist um!“, ruft Verbeke laut durch den Raum. „Wie viele Punkte habt Ihr?“ „Einen Punkt“, murmeln die meisten, „zwei“, sagen einige wenige, einzelne Teams blieben ohne Ergebnis. „Was ist denn hier gerade passiert?“, fragt Verbeke. „Ihr wart alle sofort voll im Kampfmodus, habt vehement versucht, euren Kontrahenten zu besiegen. Dabei hatte ich euch gebeten, so viel Punkte wie möglich zu machen. Wenn man also genauer darüber nachdenkt, hättet Ihr, wenn Ihr als Team zusammengearbeitet hättet, statt einander zu bekämpfen, zusammen ganz einfach locker ein viel besseres Ergebnis erzielt als alleine.“ Zang Wenbin starrt den belgischen Professor erstaunt an, Chen Huode und um ihn herum einige andere Studenten nicken leicht mit dem Kopf.
Faustregeln für die tägliche Arbeit in der Kanzlei
Alain Laurent Verbekes Vorlesung ist eine von sechs Gastvorlesungen, mit der internationale Rechtswissenschaftler und Praktiker jedes Jahr die regulären Lehrveranstaltungen der China-EU School of Law erweitern. Er ist Professor für Privatrecht und alternative Streitbeilegungsmethoden an der KU Leven in Belgien. Zudem lehrt er seit 2007 an der Harvard Law School. Da er zudem Gründungspartner der belgischen Anwaltskanzlei Greenille ist, die 2014 mit einer der größten belgischen Kanzleien Laga fusionierte, weiß er ebenfalls, wovon er spricht. „Einen Gerichtsprozess zu gewinnen bedeutet oft nicht auch den größtmöglichen Wert zu erzielen“, sagt Verbeke, während er langsam durch den Hörsaal geht. „Tatsächlich erreichen Anwälte oft mehr für ihre Klienten, wenn sie von einer traditionellen Herangehensweise an Konflikte, die vor allem den Blick auf die eigene Nutzenmaximierung lenkt, abweichen.“ Gerichtsprozesse hätten zudem häufig negative Auswirkungen auf das Verhältnis der widerstreitenden Parteien, die künftige Zusammenarbeit belasten. Außerdem hätten beide Seiten ein Interesse, ihren Ruf zu schützen und möglichst unbeschadet aus dem Prozess herauszukommen. Verbeke stoppt vor der Tafel. „Gute Anwälte schaffen also am ehesten Wert, indem sie Lösungen suchen, bei der beide Seiten gewinnen.“
Einige Reihen vor Zang Wenbin und Chen Huode, hört Studentin Wan Lu aufmerksam zu und macht Notizen. Sie ist ebenfalls Studentin der China-EU School of Law. Als Erstsemester hat sie noch zwei Jahre vor sich, ehe sie ihren Abschluss macht, dennoch ist die Frage, was die verschiedenen juristischen Berufe voneinander unterscheidet, auch für sie von Interesse. Gerade der Beruf des Rechtsanwalts ist in China noch etwas jünger als im Westen. 1957 praktizierten etwa 3.000 Anwälte in der Volksrepublik, 2017 kletterte ihre Zahl laut All China Lawyers Association auf über 300.000 Anwälte. Mehrere der Studierenden, die mit ihr im Hörsaal sitzen, das zeigt die jährliche Alumnibefragung der China-EU School of Law, werden in wenigen Jahren höchstwahrscheinlich ebenfalls als Anwälte arbeiten.