Interview mit Alexander Stark: „Umweltgerichte können als Katalysatoren für die Rechtsentwicklung in China wirken“
30. November 2017, von Internetredaktion
Chinas Regierung hat der Umweltzerstörung den Kampf angesagt. Über 450 Umweltgerichte im ganzen Land verhandeln Fälle von Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung. Doch können sie diese Probleme lösen?
Ein Gespräch mit dem Rechtswissenschaftler Alexander Stark.
Oft prägen gelbbraune Smogwolken die Bilder aus Chinas Metropolen. Ist das chinesische Umweltrecht nicht gut genug?
Die Umweltgesetzgebung in China ist – als sogenanntes law in the books – durchaus eindrucksvoll. Das Umweltrecht hat sich in den letzten Jahren zu einer Vorreiterdisziplin des chinesischen Rechts entwickelt. Die Gesetzgebung ist ausdifferenziert und vergleichsweise detailgenau. Neben dem Umweltschutzgesetz wurden zahlreiche Gesetze wie das Wassergesetz, das Luftreinhaltungsgesetz oder das Gesetz zum Schutz von Bodenschätzen erlassen. Das überrascht zunächst und hat auch mein Interesse für das Thema geweckt, denn die tatsächliche Umweltsituation in China ist bekanntlich schlecht. China verursacht die höchsten Emissionsraten von Kohlenstoffdioxid und Schwefeldioxid. Außerdem sieht es sich mit gravierendem Waldsterben, Gewässer- und Grundwasserverschmutzungen und enormen Wüstenbildungen konfrontiert. Besonders präsent ist natürlich der Smog in den Städten, der in China bei jeder Mahlzeit und Taxifahrt diskutiert wird.
Können die Umweltgerichte Chinas Umweltschutz voranbringen?
Die Umweltgerichte sind ein wichtiger Baustein der umfassenden Reformbemühungen Pekings. In Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei, gab es schon 1989 den ersten Versuch, ein Umweltgericht einzurichten. Damals verhinderte das Oberste Volksgericht dies noch mit dem Argument, es gebe keine Gesetzesgrundlage dafür. Peu à peu etablierten sich um das Jahr 2007 dezentral – ohne Rechtsgrundlage und ohne Unterstützung durch die Regierung – Dutzende Umweltgerichte im ganzen Land. Nach Schätzungen waren es 2014 bereits über 450. Grundsätzlich kann jeder chinesische Bürger, jede Stadt, jedes Unternehmen und auch die Staatsanwaltschaft vor einem solchen Umweltgericht eine Klage einreichen. Seit 2014 gibt es auch am Obersten Volksgericht in Peking ein Umwelttribunal. Dessen Einrichtung war eine Sensation, da die Umweltgerichte nunmehr auch von ganz oben legitimiert sind.
In der chinesischen Regierung hat sich die Einschätzung geändert: Umweltschutz liegt jetzt auf Parteilinie. Im 11. Fünfjahresplan 2005 spielten nach dem gesellschaftlichen Wohl und dem Wirtschaftswachstum, die ja die wichtigsten Legitimitätsargumente für Chinas Regierung sind, erstmals ökologische Kriterien eine wichtige Rolle. Seit knapp einem Jahrzehnt taucht in der chinesischen Selbstbeschreibung die Wendung der „ökologischen Zivilisation“ auf. Und wenn Xi Jinping die Umweltsituation heute ganz zentral auf die politische Agenda setzt, ist darin nicht nur eine politische Floskel zu sehen. Die Akzentverschiebung ebnete den Weg für Vieles, wie beispielsweise die Aufnahme von ökologischen Kriterien in das Kaderbewertungssystem, an dem sich in China orientiert, wer eine politische Karriere machen möchte. Viele Bürgermeister haben Umweltgerichte eingerichtet, weil sie damit ihre Reputation verbessern konnten.
Was genau bewirken die Umweltgerichte?
Die Umweltgerichte können als Katalysatoren für die Rechtsentwicklung in China wirken. Verschiedene Befunde stützen die Annahme, dass sie die Qualität rechtlicher Entscheidungen weiter verbessern werden. In China sind noch viele Richter tätig, die keine mehrjährige Ausbildung an einer Universität absolviert haben. Die Urteile enthalten neben einer Sachverhaltsschilderung oftmals keine oder nur knappe juristische Begründungen. Die Richter an Umweltgerichten erhalten demgegenüber in vielen Städten gezielte Fortbildungen. Sie verfügen über umweltspezifische Expertise. Sie argumentieren juristischer, das heißt sie beziehen sich auf die relevanten Gesetzesstellen, verwenden juristische Fachbegriffe und wenden gesetzliche Bestimmungen wie die Beweislastumkehr konsequent an. Beweislastumkehr im Umweltrecht bedeutet, vereinfacht gesagt, dass der Angeklagte darzulegen hat, dass er den Schaden nicht verursacht hat – nicht andersherum. All dies dürfte dazu führen, dass vorhersehbarer wird, wie Gerichte entscheiden. Mehr Vorhersehbarkeit bedeutet mehr Rechtssicherheit.
Nicht zuletzt könnten die Umweltgerichte einen Beitrag leisten, den Stellenwert der Gerichte in der chinesischen Bevölkerung zu erhöhen. Im letzten Jahr wurde eine Behörde erfolgreich verklagt, die zu leichtfertig eine umweltrechtliche Genehmigung erteilte. Entscheidungen wie diese signalisieren, dass auch Klagen gegen staatliche Institutionen nicht von vornherein aussichtslos sind. Faktisch stärken viele Umweltgerichte auch den Vollzug der Umweltgesetze. Viele Umweltrichter verstehen sich als Anwälte der Natur.
Vor welchen Hürden stehen chinesische Umweltrichter?
Insgesamt arbeiten die Umweltgerichte noch zu ungeregelt. Sie verfügen über keine eigenen Prozessordnungen. Wenn also ein Bürger gegen ein Unternehmen, das gegen Umweltauflagen verstößt, klagt, greift grundsätzlich die normale Zivilprozessordnung. Genaue Vorgaben für Verfahren bei Umweltgerichten fehlen. Das erschwert vorherzusagen, ob eine Klage überhaupt angenommen wird. Außerdem fehlt es an einer planmäßigen Koordination. Nur wenige Urteile sind zugänglich und in manchen Städten gibt es zu viele Umweltgerichte, von denen einige kaum Verfahren verhandeln. Es wäre besser, wenn man dies von oben steuert, die Zahl der Gerichte reduziert, örtliche Zuständigkeiten und Abläufe regelt. Mein Plädoyer wäre außerdem, dass Chinas Regierung Umweltgerichte in den Rang von Sondervolksgerichten erhebt. Für Sondervolksgerichte gibt es eine eigene gesetzliche Grundlage. Sie genießen eine hohe Reputation. Die Tätigkeit der Umweltgerichte würde verstetigt und ihre Qualität weiter erhöht. Sie könnten noch nachhaltiger auf das Umweltbewusstsein einwirken.
Hat die Etablierung von Umweltgerichten auch Folgen für europäische Unternehmen, die in China aktiv sind?
Genau wie chinesische Unternehmer sollten Europäer sensibler dafür sein, welche Umweltgesetze in China gelten. Heute werden Unternehmen wegen Umweltverstößen erfolgreich verklagt, die vor zehn, fünfzehn Jahren noch folgenlos geblieben wären. Man kann sich auch nicht mehr so leicht freikaufen, sondern muss beispielsweise tatsächlich die Produktion umstellen. Durch die mediale Aufmerksamkeit, die der Umweltthematik zukommt, wird stellenweise ein enormer Druck auf die Unternehmen aufgebaut.
Alexander Stark, 29, promoviert an der Universität Hamburg. Er hat Jura und Philosophie in Augsburg und Hamburg sowie Chinesisch in Wuhan studiert. 2017 wurde er mit dem Lehrpreis des Hamburger Senats für herausragende Hochschullehre ausgezeichnet. Mit seinem Buch Umweltgerichte in China hat er eine der ersten deutschen Forschungsarbeiten zum chinesischen Umweltrecht vorgelegt. Dafür forschte er 2015 drei Monate lang mit einem PhD Short Stay Scholarship der China-EU School of Law in Peking.