Prof. Tibor Tajti zum Insolvenzrecht: „EU und China sollten das Stigma des Scheiterns bekämpfen“
7. Dezember 2017, von Internetredaktion

Foto: CESL
Prof. Tibor Tajti, CEU, fordert Gesetzgeber in China und Europa auf, sich genauer mit dem sozialen Stigma einer Firmenpleite auseinanderzusetzen. Damit könnten sie das Insolvenzrecht zu verbessern – und viele Unternehmen retten.
„Europa und China haben in ihrem Konkursrecht im vergangenen Jahrzehnt einen radikalen Richtungswechsel vollzogen”, sagt Tibor Tajti, Professor an der Central European University (CEU) in Budapest. In einem neuen Artikel im China-EU Law Journal hat er die Gesetzgebung länderübergreifend untersucht. Brüssel und Peking zum Beispiel raten nun, finanziell angeschlagene, aber potentiell rentable Unternehmen frühzeitig umzustrukturieren statt sie abzuwickeln. Sie setzen also auf eine Politik der zweiten Chance – und orientieren sich dabei stark am „Vorreitermodell“ des Insolvenzrechts der USA, sagt Tajti. Niedergelegt ist dies etwa in der Empfehlung zum Umgang mit gescheiterten Unternehmen der Europäischen Kommission von 2014 oder im neuen Insolvenzgesetz der Volksrepublik China von 2007.
Doch trotz aller Initiativen bleibt die Zahl der Firmenpleiten in Europa und China im Vergleich zu den USA hoch. Allein in der EU meldeten 2014 rund 200.000 Unternehmen Insolvenz an, 1,7 Millionen Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Den Verantwortlichen droht nicht nur das Karriere-Aus in ihrer Branche, sondern auch Existenznot und die Furcht vor Bloßstellung im Bekanntenkreis. „In Europa oder in China haftet der Insolvenz noch immer ein Stigma an, während sie beispielsweise in den USA eher als Teil eines Lernprozesses denn als Scheitern begriffen wird“, sagt Tajti. In China komme oft eine enge Anbindung von Firmen an die Behörden der Stadt hinzu, in der der Unternehmenssitz liegt, so dass deren Ruf ebenfalls mit auf dem Spiel steht. Daher stellten die meisten Unternehmer den Antrag auf Insolvenzverfahren nicht rechtzeitig und verpassten den optimalen Zeitpunkt für einen Neuanfang.
Rechtswissenschaftler müssten deshalb in einem interdisziplinären Ansatz das soziale Stigma der Insolvenz genauer untersuchen und geeignete Gegenmittel finden, fordert Tajti. „Nur wenn wir den enormen Einfluss des Stigmas der Insolvenz vermindern, werden die Anstrengungen der Gesetzgeber von Erfolg gekrönt sein, durch neue Gesetze ein rechtliches Umfeld zu schaffen, das die Umstrukturierung von angeschlagenen Unternehmen befördert.“ Denkbar seien etwa breite Aufklärungskampagnen über die Vorteile eines Insolvenzverfahrens, eine bessere Ausbildung von Juristinnen und Juristen im Insolvenzrecht und auch die Veröffentlichung von Best-practice-Beispielen vorbildlicher Sanierung.
Prof. Tibor Tajti ist Professor an der Central European University (CEU) in Budapest. 2005 wurde er mit dem Dr. Elemér Hantos Preis für die Förderung von Kooperation in Zentral und Osteuropa ausgezeichnet. In den 1990er Jahren arbeitete er als Manager in der Maschinenbaufirma Potisje in Ada im heutigen Serbien. An der China-EU School of Law lehrt und forscht er seit 2013 im Bereich Insolvenzrecht.
- Zum Artikel “Bankruptcy stigma and the second chance policy” (in englischer Sprache)