Ökonomische Sachverständige 2023
23. November 2023, von Internetredaktion
Ökonomische Gutachten zur Schadensschätzung in Kartellzivilprozessen – Fluch oder Segen?
Am 23. November 2023 fand im Ernst-Cassirer-Hörsaal der Universität Hamburg (UHH) die Veranstaltung „Ökonomische Gutachten zur Schadensschätzung in Kartellzivilprozessen – Fluch oder Segen?“ statt, die die UHH in Zusammenarbeit mit dem Competition Litigation Forum (CLF) organisiert hat. Debattiert wurde die Frage, wie Recht und Ökonomie bei der Bewältigung von komplexen kartellrechtlichen Schadensersatzfällen zusammenspielen können.
Das Ausurteilen von Kartellschäden beschäftigt die Gerichte erst seit relativ kurzer Zeit in größerem Umfang. In den letzten 20 Jahren wurde vornehmlich um Fragen des Anspruchsinhalts gestritten, die mittlerweile höchstrichterlich weitgehend geklärt sind. Nunmehr rückt die Rechtsfolgenseite in den Fokus. Es gilt, einen Weg zu finden, um Recht und Ökonomie bei der Schadensermittlung zusammenzuführen, so dass Verfahren effizient und mit verhältnismäßigem Aufwand geführt werden können. Während in anderen Bereichen das Zusammenspiel von Sachverständigen und Gerichten weitgehend geklärt ist, etwa bei der Feststellung von Blutalkoholwerten oder von Baumängeln, müssen sich im Kartellschadensersatzverfahren effiziente Strukturen und Prozesse noch herausbilden.
Vor diesem Hintergrund diskutierten ein vierköpfiges Panel und die über 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Wurmnest (Universität Hamburg) und Niels Frank (Lademann & Associates), wie Gerichte die Schadensschätzung effizient durchführen können und sollten. Einig war man sich darüber, dass das bisherige System noch nicht optimal ausgestaltet ist. Die Verfahren dauern sehr lange, und der Einsatz von ökonomischen Sachverständigen erfolgt nicht immer optimal. Zur Lösung dieses Problems wurden sehr unterschiedliche Vorschläge erörtert.
Auf der juristischen Seite diskutierte zum einen Prof. Dr. Ulrich Egger, der als Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf wirkt. In seiner langjährigen Justizkarriere konnte Prof. Egger schon zu ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten urteilen. Vor dem Hintergrund seiner reichhaltigen Erfahrung unterstrich er in der Debatte, dass die Frage der Schadensschätzung in Kartellprozessen ein allgemeines Problem betreffe. Es gehe nämlich um die Frage, inwieweit man im Interesse der Prozessökonomie die rechtliche Frage der Schadensschätzung vereinfachen und beschleunigen kann. In Maßen betrieben, hält er diesen Weg auch bei der Bestimmung des Kartellschadens für möglich. Zudem betonte er, dass möglicherweise § 411a ZPO zur Straffung des Verfahrens herangezogen werden könnte.
Als zweiter Richter nahm Dr. Kai Brauneisen vom Landgericht Mannheim an der Debatte teil, der mit einer Reihe von Verfahren zum Zuckerkartell befasst war und derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den BGH abgeordnet ist. Er äußerte verschiedene Vorschläge zur Strukturierung des Verfahrens und wies darauf hin, dass die Gerichte hinreichend ausgestattet werden müssen, um große Kartellschadensersatzverfahren in überschaubarer Zeit entscheiden zu können. Zudem benötige seiner Ansicht nach eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO immer einen hinreichenden Ankerpunkt, der oftmals schwierig zu bestimmen sei.
Die Sicht der ökonomischen Beratungspraxis beleuchtete Frau Dr. Susanne Thorwarth, die als Managing Director bei Düsseldorf Competition Economics wirkt und bei verschiedenen Verfahren in Deutschland als Teil eines Expertenteams zur Analyse von Kartellschäden mitgewirkt hat. In der Debatte arbeitete sie heraus, warum Gerichtssachverständige teilweise sehr lange benötigen, um Gutachten zu erstellen. Zudem wies sie darauf hin, dass viele Fragen der praktischen Anwendung von Modellen zur Schadensschätzung noch nicht abschließend geklärt seien. Daher plädierte sie dafür, bestimmte Branchenstandards zu schaffen, die es bislang noch nicht in ausreichender Form gäbe. Zudem solle die Monopolkommission ausgebaut werden, so dass Ökonomen dieser Institution vor Gerichten als Sachverständige wirken können.
Als zweiter Wettbewerbsökonom nahm Thilo Klein, der Leiter der deutschen Büros von Compass Lexecon, an der Debatte teil. Er war als ökonomischer Experte in deutschen Kartellschadensersatzverfahren involviert und hat auch Einblicke in die Praxis von Gerichten in anderen Ländern, z.B. Großbritannien. In der Debatte wies er insbesondere darauf hin, dass die Transparenz von Gutachten gesteigert werden sollte, so dass im Verfahren über ein „hot tubbing“ die streitigen Kernfragen herausgearbeitet werden können, die dann vom Gericht entschieden werden müssen. Zudem unterstich er die Bedeutung der empirisch fundierten Schadensschätzung.