UHH-MOTRA Spotlight No. 16: „Die Sehnsucht nach Frieden im Nahen Osten: Einstellungen zum Gaza-Krieg und die Bewertung von Friedensvorschlägen bei Menschen in Deutschland“
22. Oktober 2025, von Internetredaktion
Von Rebecca Endtricht und Peter Wetzels
Im April 2025 fand im Rahmen der Studie „Menschen in Deutschland: International“ (MiDInt) eine repräsentative Online-Befragung von 2.436 Personen statt. Diese Umfrage wurde im Rahmen des Forschungsverbundes MOTRA vom Institut für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg und dem German Institute for Global and Regional Studies (GIGA) in Hamburg gestaltet. Dabei wurden u.a. Meinungen zum Gaza Krieg sowie Haltungen der Bevölkerung zu einem Friedensvorschlag in Bezug auf diesen Krieg erfasst. Erhoben wurde ferner, wie stark Kritik an den Aktivitäten der Hamas einerseits und von Seiten Israels andererseits in der Bevölkerung Deutschlands verbreitet sind. Weiter wurde analysiert, wie stark Kritik an der Politik Israels in Deutschland verbreitet ist und ob sie mit antisemitischen Einstellungen in Zusammenhang steht bzw. in welchem Maße eine nicht antisemitisch unterlegte Israelkritik zu erkennen ist. Die Ergebnisse sind bemerkenswert eindeutig.
Die weit überwiegende Mehrheit (76,1%) verurteilt sowohl die Gewalt der Hamas als auch die militärische Vorgehensweise Israels. Einseitige Parteinahmen zugunsten Israels oder der Hamas sind sehr selten. Israelkritik im Sinne einer klar kritischen, ablehnenden Haltung zu wesentlichen Aspekten der Politik des Staates Israel im Umgang mit den Palästinensern ist gegenwärtig bei Menschen in Deutschland sehr weit verbreitet (71,4%). Sie geht mehrheitlich aber nicht mit antisemitischen Einstellungen einher. Nur etwa ein Drittel der israelkritisch eingestellten Menschen in Deutschland weist gleichzeitig auch antisemitische Einstellungen auf. Mehr als 50% der Bevölkerung lehnen die Politik Israels ab, ohne antisemitische Vorurteile (weder tradierte Formen noch israelbezogenen Antisemitismus) zu äußern. Insofern erscheint es aus empirischer Sicht unangemessen, Kritik der Politik des Staates Israel umstandslos als antisemitisch zu etikettieren.
Ca. 18% der Befragten äußern tradierte Formen antisemitischer Einstellungen und ca. 21% zeigen israelbezogene Formen antisemitischer Haltungen. Diese beiden Formen des Antisemitismus überlappen sich allerdings erheblich. Insgesamt sind finden sich bei rund 27% der Befragten antisemitische Ressentiments in mindestens einer dieser beiden Formen.
Rund 85% der Befragten befürworten ferner einen Friedensvorschlag für den Nahen Osten, der unter anderem die wechselseitige Anerkennung eines palästinensischen Staates wie auch des Existenzrechts Israels, einen sofortigen Waffenstillstand, die Freilassung von Geiseln und die unbehinderte Durchführung von Hilfsmaßnahmen für die Bevölkerung im Kriegsgebiet beinhaltet. Ebenso hoch ist die Rate derer, die sich dafür aussprechen, dass die Bundesregierung aktiv einen solchen Vorschlag unterstützt.
Mehr als 80% der Befragten sind zudem der Ansicht, die Hamas solle das Existenzrecht des israelischen Staates anerkennen. Ebenso viele Befragte sind dafür, dass Israel einen palästinensischen Staat anerkennt. Insoweit ist neben der Akzeptanz des Existenzrechts des Staates Israel auch die Befürwortung der Anerkennung eines palästinensischen Staates in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet.
Die Ergebnisse widersprechen in der Gesamtschau häufiger geäußeren Vermutungen, wonach die deutsche Gesell-schaft in diesen Fragen polarisiert wäre. Die Sehnsucht nach einer Friedenslösung für den Nahen Osten ist umfassend und in allen Bevölkerungsgruppen zu erkennen. Zugleich findet sich bei der großen Mehrheit eine ausgeprägte Kritik der Politik und der Gewalt in Bezug auf beide Konfliktparteien. Einseitigkeit ist, entgegen vielen aktuellen Annahmen, in dieser Hinsicht bei Menschen in Deutschland eher die Ausnahme. Mit einem Anteil von 27% an der erwachsenen Bevölkerung sind allerdings antisemitische Einstellungen besorgniserregend stark verbreitet. Damit wurde im April 2025 ein vorläufiger Höchststand in den seit Ende 2022 durchgeführten Erhebungen der Studie MiDInt erreicht. Insoweit besteht aller Anlass, sich auch weiterhin dem Problem des Antisemitismus in Deutschland sowohl seitens der Politik als auch seitens der wissenschaftlichen Forschung und der Präventionspraxis intensiv zuzuwenden.
Die vollständigen Ergebnisse können Sie im UHH MOTRA Spotlight No.16 nachlesen.