Neue Ergebnisse aus den Befragungen des MOTRA-Forschungsprojektes auf der Jahreskonferenz der MPSA 2025 in Chicago vorgestellt
10. April 2025, von Internetredaktion
Anfang April 2025 haben auf der 82. Jahreskonferenz der Midwest Political Science Association (MPSA) in Chicago Prof. Dr. Katrin Brettfeld und Prof. Dr. Peter Wetzels (Universität Hamburg) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Thomas Richter (GIGA) aktuelle Befunde aus den seit November 2022 regelmäßig wiederholt durchgeführten Befragungen der Studie “Menschen in Deutschland: International2 (MiDInt) vorgestellt. In ihren Vorträgen wurden der Einfluss globaler Krisen auf die Akzeptanz autokratischer Einstellungen sowie die Wirkungen von Berichten über die Folgen tödlicher militärischer Gewalt im Nahostkonflikt auf Israelkritik und illegales, antisemitisches Protestverhalten bei Menschen in Deutschland thematisiert.
In ihrem Vortrag „The Influence of Global Crises on Acceptance of Autocracy in Germany” zeigte Prof. Dr. Brettfeld, dass etwa 30 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland Tendenzen zur Autokratieakzeptanz aufweisen. Solche Einstellungen stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Ausmaß der individuellen Sorgen über Krieg, Klimawandel und Migration. Insbesondere im Kontext großer Sorgen in Bezug auf zentrale Ressourcen wie Wohnraum, Energie oder Arbeit finden sich deutlich gehäuft autokratische Einstellungen. Auch mangelndes Vertrauen in die Kompetenz politischer Akteure hat einen Einfluss auf die Ausprägung von Autokratieakzeptanz. Ergänzend wurden Ergebnisse von Vignettenexperimenten vorgestellt. In diesem wurden Effekte der öffentlichen Äußerung von Politikern über möglicherweise drohende Ausdehnungen der Aggressionen Russlands über die Ukraine hinaus und daher bestehende Notwendigkeiten der Steigerung der militärischen Verteidigungsfähigkeit auf die Verbreitung von autokratischen Einstellungen in der Bevölkerung thematisiert.
Prof. Dr. Wetzels präsentierte Ergebnisse zu den Auswirkungen, welche Berichte über Waffeneinsätze des israelischen Militärs mit Todesopfern unter der palästinensischen Zivilbevölkerung auf politische Einstellungen bei Menschen in Deutschland haben („Effects of violence by Israeli Defence Forces (IDF) against Palestinian civilians on attitudes towards anti-Semitic protest behavior among people in Germany: Results of two survey experiments conducted before and after October 7th 2023”). Im Vordergrund stand auf der einen Seite die Akzeptanz legaler israelkritischer Protestformen sowie auf der anderen Seite die Zustimmung zu illegalen, strafrechtlich relevanten antisemitischen Protesten. Das erste Experiment dazu wurde im April 2023, also deutlich vor dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, durchgeführt. Das zweite Experiment fand im August 2024 stand, also 10 Monate nach diesem Terroranschlag der Hamas und der darauf folgenden Eskalation des Krieges im Gaza-Streifen.
Die Ergebnisse des ersten Experimentes im Jahr 2023 zeigten: Werden Befragte mit Berichten konfrontiert, wonach bei bewaffneten Einsätzen des israelischen Militärs zivile Ziele getroffen wurden und auch Kinder zu Tode kamen, dann steigt die Akzeptanz sowohl legaler Israelkritik als auch illegaler, in Deutschland strafrechtlich relevanter antisemitischer Protestformen bei Menschen in Deutschland deutlich an. Die Akzeptanz illegaler antisemitischer Protestformen fällt allerdings insgesamt deutlich niedriger aus. In Bezug auf solche illegalen antisemitischen Protestformen finden sich Steigerungseffekte der Konfrontation mit Berichten über israelische Militärgewalt zudem fast nur unter Personen, die bereits vor diesen Berichten antisemitische Einstellungen aufwiesen. Interessanterweise zeigen sich Effekte der Berichte über tödliche Waffengewalt zu Lasten palästinensischer Zivilisten nur dann, wenn diese Waffengewalt vom Militär ausgeht, nicht hingegen im Falle der Waffengewalt durch jüdische Siedler.
Das zweite Experiment im Jahr 2024 konnte diese Ergebnisse in wesentlichen Teilen replizieren. Es zeigte sich zum einen ein deutlicher allgemeiner Anstieg der Akzeptanz legaler israelkritischer Proteste im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023. Im Jahr 2023 lag diese Rate bei etwa 39%. Sie stieg im Jahr 2024 auf etwa 46%.
Die Zustimmung zu solchen eindeutig legalen, israelkritischen Protestformen steigt im Falle der Konfrontation mit Berichten über Waffeneinsätze des israelischen Militärs mit tödlichen Folgen für palästinensische Zivilisten zudem ganz deutlich an. Diese Anstiege um etwa 10 Prozentpunkte finden sich unabhängig davon, ob die Waffengewalt des Militärs im Westjordanland, in Gaza oder an der Grenze zum Libanon stattgefunden hat. Diese Effekte sind ferner auch unabhängig davon, ob die Befragten bereits vor dem Experiment antisemitische Vorurteile aufwiesen oder nicht.
Weiter zeigte sich, dass die Akzeptanz eindeutig illegaler antisemitischer Protestformen bei Menschen in Deutschland im Vergleich zu 2023 ebenfalls etwas zugenommen hatte. Die Raten der positiven Bewertung solcher illegaler antisemitischer Proteste waren aber, wie schon im ersten Experiment im Jahr 2023, auch 2024 erheblich niedriger als das in Bezug auf legale Formen der Israelkritik gilt.
Im Jahr 2024 erwiesen sich etwa ein Drittel der Bevölkerung als offen für antisemitische Vorurteile. Bei diesen lagen die Raten der Akzeptanz illegaler antisemitischer Proteste je nach Protestform zwischen 10% und 15%. Bei Personen ohne antisemitische Vorurteile lagen diese Raten demgegenüber nur bei 0,5% bis 2%, also ganz erheblich niedriger. Anders als 2023 wurde die Akzeptanz illegaler Protestformen im Jahr 2024 jedoch durch die Konfrontation mit Berichten über tödliche Militärgewalt nicht weiter gesteigert.
Die Resultate dieser Experimente unterstreichen deutlich, dass die militärischen Konflikte in Gaza, im Westjordanland wie auch an den Grenzen zu Syrien und dem Libanon erhebliche Ausstrahlungswirkungen auf politische Einstellungen und Proteste bei Menschen in Deutschland haben. Sie weisen außerdem nachdrücklich darauf hin, dass es sehr wesentlich ist, zwischen legalen Formen der Kritik der Politik des Staates Israel einerseits, die von etwa der Hälfte der nicht antisemitisch eingestellten Personen in Deutschland geteilt werden, und klar antisemitischem Protestverhalten andererseits zu differenzieren, die insgesamt deutlich seltener auftreten und primär unter Personen zu finden sind, die auch unabhängig von solchen Berichten über militärische Einsätze mit Waffengewalt bereits antisemitisch eingestellt waren.