Colloquium Verhandeln, Gestalten, Entscheiden
Verhandeln, Gestalten, Entscheiden – Colloquium einer anwendungsorientierten Arbeitsrechtswissenschaft
Arbeitsrecht ist nicht nur Gegenstand der klassischen juristischen Berufe in der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Anwaltschaft, sondern auch in größeren Unternehmen, Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden sowie Gewerkschaften. In der Praxis entwickelt sich das Arbeitsrecht daher sowohl in der Vertragsgestaltung als auch in der forensischen Praxis. Anwendungsorientiertes Lernen im Arbeitsrecht bedeutet, diese beiden Schwerpunkte in den Blick zu nehmen. Für die forensische Praxis ist es wichtig, frühzeitig die Probleme bei der Aufklärung des Sachverhalts und das prozessuale Vorgehen kennenzulernen. Die Arbeitsrechtsberatung lebt daneben insbesondere von den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber den Akteuren einräumt, sei es durch Arbeitsverträge oder Kollektivverträge (Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge, Beteiligungsvereinbarungen). Ihre Ausfüllung macht es erforderlich, neben den rechtlichen Vorgaben auch die betriebswirtschaftlichen Belange und die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse wahrzunehmen. Zudem geht dem Gestalten vielfach ein Verhandeln voraus. Das gilt insbesondere im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts. Daher sind Grundkenntnisse zur Kommunikationspsychologie sowie Verhandlungsführung wichtige Schlüsselqualifikationen.
Das Colloquium zur anwendungsorientierten Arbeitsrechtwissenschaft soll rechtliche und außerrechtliche Kenntnisse sowie praktische Erfahrungen vermitteln. Dies erfolgt in drei Formaten:
- Simulierte Verhandlungen
- Mock Trials
- Anmerkungen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung
I. Simulierte Verhandlungen
Ziel der simulierten Verhandlungen ist es, dass die Studierenden in zwei Teams eine kollektive Vereinbarung – sei es Interessenausgleich, Sozialplan, sonstige Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder Beteiligungsvereinbarung – verhandeln. Jedes Team wird durch einen Coach betreut, der in der arbeitsrechtlichen Praxis selbst solche Verhandlungen führt.
Das simulierte Verhandeln soll den Studierenden die Möglichkeit geben, sich in die Rolle des Verhandlungspartners zu versetzen und so wahrzunehmen, welche Entscheidungsparameter auf den Verhandlungsprozess einwirken, welche Möglichkeiten der rechtlichen Gestaltung bestehen und wie sich diese in der Auseinandersetzung mit dem Verhandlungspartner verwirklichen lassen.
Die simulierten Verhandlungen finden an zwei Tagen statt, wobei die gemeinsame Sitzungszeit jeweils ca. 6-7 Stunden beträgt. Der erste der beiden Arbeitstage dient der Verhandlungsvorbereitung. Es findet ein Training zur Verhandlungstechnik und ggf. auch zur Kommunikationspsychologie statt. Rechtsfragen, die für den Gegenstand der Verhandlung von Bedeutung sind, werden systematisch erarbeitet. Außerdem erfolgt eine Einführung in den Sachverhalt, der den folgenden Verhandlungen zugrunde liegt, und eine Übung zur Niederschrift eines Kollektivvertrages. Die Kurse leiten Mitarbeiter der Universität oder externe Dozenten.
Am zweiten Arbeitstag finden die eigentlichen Verhandlungen statt. Die Teams verständigen sich zunächst separat unter der Betreuung des Coaches über die Verhandlungsziele und das Vorgehen und treffen sich dann in mehreren Verhandlungsrunden, um sich schrittweise dem Ergebnis anzunähern. Der Verhandlungstag schließt mit einer Protokollierung der Verhandlungsergebnisse und einer Feedbackrunde durch die Coaches.
Musterprogramm:
1. Tag
9-11 Uhr | Einführung in den Sachverhalt und ausgewählte betriebswirtschaftliche und/oder rechtliche Aspekte |
11-12.30 Uhr und 13.30-15 Uhr |
Einführung in die Kommunikationspsychologie und das Verhandlungsmanagement |
15-16.30 Uhr | Übung zur Gestaltung der Kollektivvereinbarung |
2. Tag
9-10.30 Uhr | Verhandlungsvorbereitung der Teams |
10.30-12.30 Uhr | Erste Verhandlungsrunde und Nachberatung |
13-14.30 Uhr | Zweite Verhandlungsrunde, Fixierung erster Ergebnisse |
14.30-16.30 Uhr |
Abschluss der Verhandlungen und Ergebnisfixierung, Abschlussfeedback durch die Coaches |
II. Mock Trial
Ein Mock Trial verdeutlicht die anwaltliche und richterliche Tätigkeit im Arbeitsrecht. Anders als beim Moot Court werden alle Positionen eines Gerichtsverfahrens mit Studierenden besetzt, die jeweils durch einen Berufsträger als Coach begleitet werden. Ziel ist es, möglichst anhand eines Originalverfahrens die anwaltliche und richterliche Mandats- bzw. Verfahrensbearbeitung erfahrbar zu machen. Dazu gehören nicht nur die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts und der Austausch juristischer Argumente, sondern auch die Erarbeitung des Sachverhalts und der prozessualen Probleme eines Aktenstücks. Gerade Letzteres wird in der Ausbildung bis zur ersten juristischen Staatsprüfung in der Regel ausgeblendet. Das Gleiche gilt für den Umgang mit Fehlern, die in der Rechtspraxis unterlaufen. Anders als der Moot Court ist der Mock Trial kein Wettbewerb, sondern eine Lernform, die ein rollenorientiertes Lehren und Lernen erlaubt.
Bei der Durchführung des Mock Trial bilden je zwei bis drei Studierende ein Team für die Kläger-, Beklagten- und Richterbank. In einer Einführungsveranstaltung erfolgt eine knappe Vorbereitung zum Prozessrecht, zu ausgewählten Rechtsfragen und zu den Grundlagen der Mandatsbetreuung. Sodann beginnt die Klägerseite auf der Grundlage eines Aktenvermerks zum Mandantengespräch, begleitet durch ihren Coach, mit der juristischen Analyse, Überlegungen zu den Beweisangeboten und der Abfassung der Klageschrift. Die Gegenseite setzt sich nach deren Vorliegen mit dem Sachverhalt, der Rechtslage und der Klageerwiderung auseinander.
Die Richtergruppe erhält die Schriftsätze und muss prozessleitende Beschlüsse fassen. An dem anberaumten Termin finden zunächst ein Gütetermin und ggf. der Kammertermin statt. Damit jeder Teilnehmer zum Zuge kommt, wird beim Güte- bzw. Kammertermin jeweils ein Mitglied aus dem Kläger-, Beklagten- und Richterteam eingesetzt; bei Dreierteams somit drei Mal. Zeugen werden durch den Lehrstuhl gestellt, wobei die Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen, aber auch die Aussagekraft denselben Schwankungen wie in der Realität unterliegen. Im Anschluss setzen die Richter das Urteil ab. Es erfolgt eine Feedbackrunde für die Teams durch ihre Coaches.
Musterprogramm (Termine jeweils freitags):
2. Vorlesungswoche | Sitzung der Klägerseite mit dem Coach (juristische Vorbera-tung, Vorüberlegungen zum prozessualen Vorgehen und zur Gestaltung der Klageschrift) -Abgabefrist für die Klageschrift nach Ablauf von 2 Wochen |
4. Vorlesungswoche | Sitzung der Beklagtenseite mit dem Coach (Analyse der Kla-geschrift, juristische Vorberatung, Vorüberlegungen zum pro-zessualen Vorgehen und zur Gestaltung der Klageerwiderung) -Abgabefrist für die Klageerwiderung nach Ablauf von 2 Wo-chen |
6. Vorlesungswoche | Sitzung der Klägerseite mit dem Coach (Gestaltung der Replik auf die Klageerwiderung) -Abgabefrist für die Replik nach Ablauf von 2 Wochen |
8. Vorlesungswoche | Sitzung der Richtergruppe mit dem Coach (juristische Prüfung von Klageschrift und Klageerwiderung, Vorüberlegungen zur Durchführung des gerichtlichen Verfahrens, ggf. Hinweisbe-schluss, Ladung der Parteien zum Gütetermin/Termin) |
10. Vorlesungswoche | Gütetermin mit anschließender streitiger Verhandlung in Gruppen mit jeweils einem Teilnehmer aus jedem Team, Urteilsverkündung und Feedbackrunde durch die jeweiligen Coaches; die Richter setzen nachträglich jeweils ihr Urteil ab und erhalten ein Feedback |
III. Anmerkungen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung
Im Colloquium „Anmerkungen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung“ werden anhand aktueller Entscheidungen aus dem nationalen und europäischen Arbeitsrecht die Grundlagen des rechtswissenschaftlichen Schreibens sowie die Anforderungen an Seminarvorträge erarbeitet. Gegenstand der Veranstaltung sind neben den aus dem Grund- und Hauptstudium bekannten formalen Aspekten einer juristischen Hausarbeit – insbesondere Recherchieren und Zitieren – insbesondere die Darstellung von Meinungsständen, die Entwicklung und Strukturierung eigenständiger Gedankengänge sowie die Entwicklung des eigenen Schreibstils. Den zweiten Schwerpunkt der Veranstaltung bildet der Seminarvortrag. Die Veranstaltung richtet sich an Studierende des Schwerpunktbereichs XIII, die sich auf die häusliche Arbeit im Schwerpunktbereich vorbereiten möchten.
Musterprogramm:
1. Termin (90 Minuten) | Einführung in das Wissenschaftliche Schreiben |
1. Vorlesungswoche |
Themen: Strukturierung, Darstellung des vorhandenen Erkenntnisstandes, Argumentieren und Entwickeln der eigenen Meinung Stilistik Im Rahmen des Einführungstermins erhält jeder Teilnehmer eine aktuelle, höchstrichterliche Entscheidung aus dem Arbeitsrecht, zu der eine Entscheidungsanmerkung verfasst werden soll (ca. 8.000-10.000 Zeichen inkl. Leerzeichen). Bearbeitungsdauer: drei Wochen |
2. Termin (90 Minuten) |
Hinweise zum Seminarvortrag |
2. Vorlesungswoche |
Themen: Vorbereitung, Hilfsmittel, Vortragstechnik Rhetorik und Körpersprache |
5. – 12. Vorlesungswoche (90 Minuten) |
Präsentation der Entscheidungsanmerkungen Ablauf: In Vorbereitung auf den Termin: Lektüre der zu besprechenden Anmerkungen zur Vorbereitung auf die Feedback-Session je Teilnehmer: 15 Minuten Präsentation – 10 Minuten Diskussion (inhaltlich) – 20 Minuten Feedback zum Vortrag und zur Schriftfassung Im Anschluss an den Präsentationstermin haben die Teilnehmer Gelegenheit ihre Schrift-fassung noch einmal zu überarbeiten und der Dozentin abzugeben. Danach erhalten die Teilnehmer die gesammelten Anmerkungen als Reader zum Download. |