Neue Ergebnisse aus MOTRA: Auswirkungen von Waffengewalt des israelischen Militärs sowie israelischer Siedler gegen palästinensische Zivilpersonen in der Westbank auf Israelkritik und die Akzeptanz antisemitischer Proteste in Deutschland
19. August 2024, von Internetredaktion
Die Hamburger MOTRA-Forschungsteams vom Institut für Kriminologie an der Fakultät für Rechtswissenschaft und vom GIGA in Hamburg haben gemeinsam auf der General Conference des European Consortium for Political Research (ECPR), die am University College in Dublin vom 12.-15. August stattfand, in einem Vortrag Ergebnisse der MOTRA-Forschung zu den Ausstrahlungswirkungen der bewaffneten Konflikteskalationen zwischen Israel und den Palästinensern auf die Akzeptanz unterschiedlicher Formen von legalem israelkritischem und illegalem antisemitischen Protestverhalten bei Menschen in Deutschland vorgestellt.
Im Rahmen der 3. Welle der repräsentativen Studie „Menschen in Deutschland: International“ (MIDInt) war im April 2023 dazu, anschließend an frühere korrelative Befunde zu diesem Thema, ein randomisiertes Surveyexperiment durchgeführt worden. Im Ergebnis lassen sich deutliche Effekte der Konfrontation mit Berichten über bewaffnete Einsätze des israelischen Militärs (i.e. Beschuss eine palästinensischen Dorfes) in der Westbank, bei denen es zu Kollateralschäden in Form der Tötung offenkundig unbeteiligter palästinensische Zivilisten (Schulkinder) gekommen ist, auf die Erhöhung der Akzeptanz legaler Israelkritik zeigen. Weiter sind, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau, dadurch verursachte signifikante Steigerungen der Akzeptanz illegaler, eindeutig strafrechtlich relevanter antisemitischer Protestformen zu erkennen.
Derartig starke Effekte waren im Falle von Berichten über gleichartige Formen von Waffengewalt, die von jüdischen Siedlern (i.e. bewaffnete Gewalt von Privatpersonen) ausging und die gleichen Todesopfer in der palästinensischen Zivilbevölkerung zur Folge hatte, nicht nachweisbar.
Analysen für Teilgruppen zeigen weiter: Solche erheblichen Zunahmen der Akzeptanz israelfeindlich-antisemitischer, in strafrechtlicher Perspektive eindeutig illegaler Protestformen im Falle tödlicher Militärgewalt seitens der IDF (Israel Defense Forces) finden sich nahezu ausschließlich bei Personen, die bereits zuvor eine Offenheit für traditionelle, klassische antijüdische Vorurteile aufwiesen. Demgegenüber wird bei zuvor nicht antisemitisch eingestellten Personen nur die Zustimmung zu legaler Israelkritik deutlich gesteigert, wenn solche tödliche Gewalt der IDF unbeteiligte palästinensische Zivilpersonen trifft. Eine relevante Zunahme der Akzeptanz antisemitischen Protestverhaltens wird dadurch hier aber nicht verursacht.
Es lässt sich insofern feststellen, dass vor allem bewaffnete militärische staatliche Gewalt von Seiten Israels, die mit tödlichen Folgen für unbeteiligte Zivilisten auf palästinensischer Seite verbunden ist, kausale Effekte auf Umfang und Form eines antisemitischen Protestverhaltens in Deutschland hat. Besonders relevant erscheint mit Blick auf politische Implikationen der weitere Befund, dass legale Israelkritik (hier: Forderung nach Rückzug Israels aus besetzten Gebieten) bei den nicht antisemitisch eingestellten Teilen der Bevölkerung sehr weit verbreitet ist und im Falle von Berichten über tödliche Waffengewalt des israelischen Militärs weiter gesteigert wird, ohne dass es zugleich auch zu einer Zunahme eines israelbezogenen Antisemitismus in Form der positiven Bewertung israelbezogener, klar antisemitischer Protestformen kommt.
Die Befunde unterstreichen, dass ein differenzierter Umgang mit Israelkritik, aktuell auch mit Blick auf die Entwicklungen in Gaza, in der Westbank und an der Grenze zu Syrien und dem Libanon, dringend geboten ist. Die Kritik seitens der Bevölkerung an einem militärischen Vorgehen mit erheblichen Opfern unter unbeteiligten Zivilpersonen, die recht weit verbreitet ist, sollte seitens politischer Entscheidungsträger und staatlicher Behörden nicht undifferenziert als antisemitisch etikettiert werden. Das könnte ggfs. zu Verlusten des Vertrauens in politische Entscheidungsträger, zu deren Legitimationsverlusten wie auch zur Verstärkung von Verschwörungsnarrativen in diesem Feld beitragen, was die Problematik des Antisemitismus weiter zuspitzen und verschärfen kann.
Der Vortrag kann hier in englischer Sprache und hier in deutscher Sprache heruntergeladen werden.