Legal Analytics
Wenn Recht in Daten umgeformt wird, lässt sich seine Analyse quantitativ anlegen; wenn eine Vielzahl von Daten über das Verhalten von Personen zur Verfügung stehen, lassen sich diese im Interesse rechtlicher Entscheidungen auswerten und auf Muster befragen, die rechtliche Entscheidungen beeinflussen können. Will man von der zumal im angloamerikanischen Bereich und in der dortigen Rechtstheorie üblichen Unterscheidung von internen und externen Beschreibungen ausgehen kommt man zu einer einfachen Vier-Felder-Matrix wie in Abb. 2 dargestellt.
Natürlich gab es immer schon einen Wissens„transfer“ externer quantitativer Ansätze in rechtliche Dogmatik, etwa rechtssoziologischer Erkenntnisse, und dies gilt natürlich neuerdings auch für quantitative datenanalytische Verfahren, etwa korpuslinguistische Ansätze. Nunmehr lässt sich allerdings infolge der Datafizierung beobachten, dass auch intern quantitative Methoden zum Einsatz kommen. Dies geschieht nicht etwa allein durch statistische Methoden, sondern durch die Anwendung von spezifisch datenanalytischen Verfahren, den Legal Analytics.
Das hat eine Reihe von Konsequenzen. Wie in anderen wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert und zum Teil bereits realisiert, kann die Datenanalyse das Realitätsverständnis grundlegend wandeln und zu einer Herrschaft des Konkreten, Messbaren und einem Bedeutungsverlust der Abstraktion führen. Zugleich aber lässt sich dies nicht nur als eine Verlustliste lesen, sondern kann ebenso zur Verhinderung von bias und Diskriminierungen dienen. Auch im Recht sind bereits Analysesysteme nutzbar, die Rechtsbegriffe nicht systematisch-diskursiv entwickeln, sondern aus Daten (bspw. Gerichtsentscheidungen) induktiv konstruieren. Dies kann die Rechtsanwendung grundlegend verändern und provoziert auch Fragen im Hinblick auf die künftige Rolle der Beobachtung des Rechts durch die Rechtswissenschaft.
Legal Analytics beeinflussen insoweit den gesamten Rechtskonstruktionsprozess, indem sie Operationen des Rechtssystems ganz oder in Teilen ersetzen können und damit selbstverständlich auch den vorwiegend medial vermittelten Aufbau des Wissens des Rechts verändern. Die grundlegende langfristige Veränderung besteht darin, dass Recht zwar nicht seine Textbasierung verliert, aber rechtlich relevante Texte, von Gesetzen über Urteile bis hin zu rechtlicher Literatur, in Daten transformiert werden. Die Transformation von rechtlich relevanten Texten in Daten verändert den Umgang mit Texten jedenfalls perspektivisch erheblich und ermöglicht aufgrund datenanalytischer Verfahren die Anwendung computerisierter Techniken, statistischer Analysen und damit letzten Endes die Ersetzung oder Ergänzung von qualitativen durch quantitative Analysen. Dies stellt durchaus grundlegende Fragen danach, wie eine Wissenschaft und Profession, die sich, bei allen Nuancen im Einzelnen, als eine hermeneutische Praxis versteht, durch diese Techniken verändert wird oder doch zumindest verändert werden könnte.
Das Forschungsfeld Legal Analytics wird von Prof. Dr. Alexander Baur, Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli, Prof. Dr. Wolfgang Schulz und Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute betreut.