Lesetechniken
Lesetechniken einschließlich Exzerpieren von Texten
Vorteil von Lesetechniken im Jurastudium: Ich kann lesen, wozu brauche ich also Lesetechniken?
Natürlich beherrscht jeder Studienanfänger das zum Studieren unabdingliche Lesen. Im Jurastudium gilt es jedoch häufig nicht einen Text einfach nur vorzulesen oder durchzulesen, sondern ihn zu verstehen, die wichtigsten Informationen herauszufiltern und wiedergeben zu können, schnell nur eine bestimmte Information aus einem Buch von über 1000 Seiten herauszusuchen oder in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Text effektiv zu bearbeiten. Hierbei können Lesetechniken helfen.
Für einen Studierenden der Rechtswissenschaft ist das besonders wichtig, da man sich im Studium, abgesehen von Vorlesungen und AGs, hauptsächlich mit dem geschriebenen Wort auseinandersetzt. Angefangen bei Gesetzen, befasst man sich mit Lehrbüchern, Kommenta-ren, Skripten, Aufsätzen. Die Kenntnis verschiedener Lesetechniken kann bei dieser Fülle an Texten sehr hilfreich sein.
Strukturierung als Gedächtnisstrategie
Der Einsatz von Lesetechniken begünstigt sowohl strategisches als auch Tiefenlernen. Unter dem Aspekt des strategischen Lernens erscheint es sinnvoll, sich je nach Zielsetzung die geeignete Lesetechnik herauszusuchen (z.B. Querlesen, um sich einen Überblick zu verschaffen und relevante Informationen herauszufiltern; punktuelles Lesen, um sich gezielt einem spezifischen Gebiet zu widmen; SQ3R-Technik, um einen Text intensiver bzw. unter einem spezifischen Aspekt zu lesen), d.h. der systematische Einsatz der Lesetechniken ist auch gleichzeitig eine Möglichkeit der effektiven Arbeitsorganisation. Die SQ3R-Technik ist durch die Mehrstufigkeit des Leseprozesses, die vom Verschaffen eines groben Überblicks bis zur Beantwortung eigener an den Text gestellter Fragen reicht, auch für das Tiefenlernen von Relevanz: Das Formulieren eigener Fragen an den Text und deren Beantwortung erfordert ein kritisches Prüfen des Gelesenen und das Herstellen von Zusammenhängen, so dass die subjektiv interpretierten Inhalte des Textes anschlussfähig an die eigenen Wissensstrukturen werden.
Grundsätzlich: Überblick gewinnen
Wie bei allen Lerntechniken gilt es auch beim Lesen: Als allererstes einen Überblick zu gewinnen.
Wie das geht
- Einleitung lesen
- einzelne Kapitelüberschriften lesen
- Frage stellen: Worauf zielt der Text? (z.B. Wird eine bestimmte These vertreten? Soll der Text bloßes Überblickswissen vermitteln? Worum geht es inhaltlich?)
Markieren und Kommentieren
a) Richtig markieren
Markieren ist wichtig, wenn es darum geht, aus einem bereits gelesenen Text schnell Informationen zu ziehen und ihn zu strukturieren. Dabei kann wie folgt vorgegangen werden:
- Max. 10-25 % eines Textes markieren (anderenfalls leidet die Übersichtlichkeit)
- Systematischer Einsatz eines Farbsystems bspw.:
o Schlüsselbegriffe: rot
o Beispiele: orange
o Wichtige §§: grün
o Definitionen: blau
o sonstige relevante Informationen: gelb - Unterschiedliche Markierungstechniken verwenden
o Kringel
o doppelte Unterstreichungen
o Schlangenlinien - Alternativ: Schwärzen
o unwichtige Informationen durchstreichen/schwärzen
o dicken schwarzen Filzstift verwenden (Tipp: Flip-Chart-Marker drückt meist wenig bis gar nicht durch)
b) Kurzkommentare am Text
Kumulativ zum Markieren des Textes ist es sinnvoll, Kurzkommentare am Text anzubringen, um später schnell nachvollziehen zu können, warum ein bestimmter Teil eines Textes markiert/geschwärzt ist. Hierzu kann man entweder eine kurze Randnotiz hinterlassen oder diese durch ein Symbol ersetzen. Beispielhaft sind im Folgenden mögliche Symbole und deren Übersetzung angefügt:
Lesetechniken im Überblick
Die folgende Tabelle gibt Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Lesetechniken. Dabei wird ersichtlich, dass es sinnvoll ist, je nach Zielstellung unterschiedliche Techniken zu nutzen. Auch kann die Wahl der geeignetsten Lesetechnik davon abhängen, zu welchem Zweck Sie lesen wollen: das Lesen für eine Hausarbeit ist ein anderes als für das Lernen mit Skripten oder Lehrbüchern.
Technik |
Ziel |
Wie |
Wozu |
---|---|---|---|
Punktuelles Lesen, Selektives Lesen | - einzelnes Themengebiet lesen - einem Text bestimmte Informationen entnehmen |
- teilweises Lesen eines Textes (an der „richtigen“ Stelle) - Lesevorgang unterbrechen und an anderer Stelle fortsetzen (‚Springen‘) |
- Schreiben von Hausarbeiten (Einzelne Probleme bearbeiten) - Hypertexte mit nicht‐linearer Textstruktur - einzelne Kapitel aus Monografien |
Querlesen, diagonales Lesen, kursorisches Lesen | In kurzer Zeit einen Überblick verschaffen | - Überfliegen des Textes von links oben nach rechts unten - Scannen der wichtigsten Textinhalte, ‐strukturen und Schlagwörter |
- Hausarbeiten (Ist dieses Buch/Kapitel das richtige zur Beantwortung des Problems?) - Studium generell (Ist dieses Skript/Lehrbuch das richtige für mich bzw. dieses Fach?) |
Intensives Lesen | - Text in Gesamtheit verstehen - Thema vollständig bearbeiten/durchdringen |
Siehe: SQ3R, Leseprotokoll & Exzerpt, Markieren, Kommentieren | - Mit Skripten und Lehrbüchern lernen - komplexe Texte (z.B. Aufsätze) verstehen und bearbeiten |
Speed-Reading | Möglichst schnelles Lesen bei vollem Textverständnis | Unproduktive Lesemethoden ablegen, Konzentrationsübungen, Blickspanne und Augenbewegung optimieren, optimale Rahmenbedingungen schaffen | - Schnelles Lesen von Texten jeder Art - relevante Informationen mit hoher Effizienz erfassen |
Spezielle Anwendung von Lesetechniken
a) SQ3R-Technik
(1) Einführung
Bei der SQ3R-Technik handelt es sich um die Lesetechnik im Jurastudium. Denn die Methode hilft dabei, die Texte besser zu begreifen und zu erinnern, was für das Examen essenziell ist. Zudem ist es bei dieser Methode wichtig zu strukturieren – was dem Gehirn das Lesen und Lernen erleichtert. Genau genommen werden durch diese Lesetechnik verschiedene Lese- und Lerntechniken kombiniert angewandt.
Die Buchstaben dieser Lerntechnik stehen jeweils für einen Schritt beim Vorgehen.
S – Survey – Überfliegen
Q – Question – Fragen
R – Read – Lesen
R – Recite – Wiedergeben
R – Review – Wiederholen
(2) Anwendung
Die Anwendung erfolgt in den fünf Schritten:
Survey
- Gesamtes Material sichten/überfliegen
o Inhaltsverzeichnis (falls vorhanden)
o Überschriften
o Zusammenfassungen
o Tabellen und Abbildungen - die Abschnitte, die das große Ganze bilden, markieren
- Zeitfaktor: wenige Minuten
- auf einzelne Abschnitte die folgenden Schritte anwenden
Question
- Fragen zu den einzelnen Abschnitten formulieren bspw.
- Sich eigene Wissenslücken bewusst machen
Read
- Text intensiv lesen
- Wichtiges markieren/kommentieren, noch keine Notizen machen
- Nach jedem Absatz selbst überprüfen, ob das Gelesene verstanden wurde
- Unbekannte Wörter nachschlagen (Fremdwörterbuch, Rechtswörterbuch)
- Zeitfaktor: individuell, so viel wie nötig (maximal ca. 10 min. am Stück, dann mit den weiteren Schritten fortfahren)
Recite
- Nach dem Lesen: Schlüsselinhalt in eigenen Worten schriftlich zusammenfassen bspw. durch:
o Mind-Map
o Concept-Map
o Exzerpt
o Grafik
o Tabelle
o Karteikarte - Zeitfaktor: etwa genauso lange wie das Lesen
Review
- Erneutes Überfliegen des Textes und der Notizen
- Beantworten der an den Text gestellten Fragen
- Mündliche Nacherzählung der essenziellen Inhalte
- bei Bedarf noch einmal vorne beginnen/auffüllen
b) Informationsreduktion bei langen Texten
Auch hier gilt es, verschiedene Lern- und Lesemethoden zu kombinieren, um möglichst effektiv die Schlüsselinformationen herauszuarbeiten, schließlich wird ein Prüfer niemals verlangen, dass man ein Buch Wort für Wort rezitieren kann. Es geht hingegen vor allem darum, die wichtigsten Informationen daraus abrufen und wiedergeben zu können. Dabei können alternativ zum SQ3R-System folgende Techniken angewandt werden:
Technik | Anwendung auf |
---|---|
Anmerkungen und Kurzkommentare machen | Die Schlüsselinformationen des Textes. |
Unterstreichen und Hervorheben | Die relevanten Teile des Textes, die wichtigen Konzepte. (max. 10-25 % des Textes). |
Durchstreichen/Schwärzen | Irrelevantes, Füllwörter/-sätze. |
Exzerpieren (Herausschreiben) | Die wichtigsten Informationen und Schlüsselwörter. |
Kursorisches Lesen | Direkt beim Lesen Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden. Hier bereits hervorheben bzw. durchstreichen. |
Selektives Lesen | Der Text wird nicht im Ganzen gelesen, sondern überflogen. Besonders wichtige Stichwörter werden markiert. |
Eigene Überschriften erstellen | Sich den Text durch eigene Überschriften selber in sinnvolle Abschnitte unterteilen und so eine eigene Struktur schaffen. |
Zusammenfassung in eigenen Worten | Abschließendes Bearbeiten durch knappe Zusammenfassung in eigenen Worten. |
c) Reflexion und Archivierung beim Lesen – das Exzerpt
Damit das Lesen eines Textes beim Lesen weiterführt, ist es wichtig, mit den Informationen, die der Text gibt, zu arbeiten. Abgesehen von den bereits beschriebenen Methoden wie z.B. Mind-Maps, Bildern, Grafiken und Karteikarten kann dabei das Exzerpt zum Einsatz kommen.
(1) Einordnung
Ein Exzerpt gibt wichtige Inhalte und Informationen eines Textes wortwörtlich unter Angabe des Autors und des genauen Fundortes wieder.
(2) Bezüge zum Tiefenlernen und strategischen Lernen
Das Exzerpieren ermöglicht, alle relevanten Gebiete (z.B. unter Verwendung von Prüfungsschemata als grober Aufbau) komprimiert abzubilden und dabei die Darstellung jeweils um weitere Probleme und aktuelle Rechtsprechung zu erweitern. Bei der Erstellung von Exzerpten handelt es sich um einen Verdichtungsprozess, der – unter dem Gesichtspunkt des strategischen Lernens – geeignet ist, Texte/Lernstoff entsprechend zu reduzieren, systematisch aufzubereiten und eine Selektion vorzunehmen. Unter Tiefenlernaspekten liegt der Mehrwert des Exzerpierens im Herstellen eines eigenen Sinnzusammenhangs durch die Zusammenstellung relevanter Textpassagen und die Bildung neuer, eigener Strukturen. Dies gilt insbesondere, wenn das Exzerpt als eigene Zusammenfassung relevanter Inhalte erstellt wird und die interpretierten Informationen anhand der eigenen Wissensstrukturen in eine neue Form (und eigene Worte) gebracht werden. Durch das Exzerpieren aus verschiedenen Texten können Verknüpfungen hergestellt, Positionen gegenübergestellt, Widersprüche beleuchtet und kritisch geprüft werden, was ein verständnisorientiertes Tiefenlernen begünstigt.
(3) Anwendung
Das Exzerpt zielt darauf ab, relevante Textpassagen für eine anschließende Verwendung in Analyse und Argumentation eines Schriftstückes zu extrahieren. Allerdings kann es ebenfalls als Zusammenfassung relevanter Inhalte dienen.
Es eignet sich daher besonders beim Anfertigen von Seminar- und Hausarbeiten oder beim Verfassen eines eigenen Kurz-Skripts.
Vorgehensweise:
- Fragestellung an den Text klären
- Selektieren: nur die wirklich verwertbaren Informationen kennzeichnen
- Abschnitt oder Satz als direktes oder indirektes Zitat (Tipp: Sofort kennzeichnen, damit es nicht zu unzulässigen Plagiaten kommt) herausschreiben
- Autor und genaue Fundstelle notieren
d) Speed-Reading
(1) Begriff
Speed-Reading (Schnelllesen) bezeichnet, wie der Name schon sagt, das überdurchschnittlich schnelle Lesen von Texten, ohne dabei jedoch an Textverständnis einzubüßen. Das Gehirn kann den Inhalt des Gelesenen bei langsamem Lesen schlechter aufnehmen als bei schnellerem, denn das Verständnis eines Textes hängt nicht vom Lesen einzelner Wörter eines Satzes ab, sondern vom Erkennen der wesentlichen Schlüsselwörter.
(2) Vorgehensweise
(a) Lesetempo ermitteln
Zunächst empfiehlt es sich, einen Test zu machen, um das eigene Lesetempo ermitteln zu können.
(b) Unproduktive Lesegewohnheiten ablegen
Folgende unproduktive Lesegewohnheiten reduzieren unnötig den Lesefluss:
- (Sub-)Vokalisierung
Darunter versteht man das gedankliche oder sogar leise ausgesprochene Mitsprechen des Gelesenen. Dies stellt ein Relikt aus der Grundschulzeit dar, in der man Worte noch Buchstabe für Buchstabe über die Stimme entschlüsselte. Diese Vorgehensweise reduziert das Lesetempo erheblich. - Regression
Die Regression meint das Zurückspringen der Augen auf bereits Gelesenes. Durch dieses Zurückspringen wird der Lesefluss ständig unterbrochen, was Zeit kostet. - zu viele kurze Fixierungen
Die Augen müssen sich laufend „scharf“ stellen, um das, was gerade im Fokus ist, zu erfassen. Dieses Scharfstellen führt zu Pausen, die die Lesegeschwindigkeit drosseln. Um dies zu verhindern, sollte man den Blick entspannen, wodurch sich wiederum das Sehfeld erweitert. Man spricht insofern auch von „peripherem Sehen“. Konsequenz ist, dass man weniger Fixierungen braucht, da man pro Fixierung mehr Wörter auf einmal erfassen kann.
(c) Konzentration erhöhen
Das Auge ist in der Lage, mehr als 10.000 Wörter pro Minute zu erfassen. Diese Informationen können auch vom Gehirn verarbeitet werden. Wer allerdings mit einem Lesetempo von 150 Wörtern pro Minute liest, unterfordert seine Augen und sein Gehirn ganz erheblich. Dieses langsame Lesen lenkt ab und sorgt dafür, dass man unbewusst mit den Gedanken abschweift. Durch spezifische Konzentrationsübungen kann man schneller lesen, hat eine gesteigerte Merkfähigkeit und kann besser zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden.
(d) Blickspanne und Augenbewegung
Die Blickspanne eines durchschnittlichen untrainierten Lesers beträgt etwa 1 Grad. Bei einem Abstand von 30 cm zum Text entspricht dies 1 cm. Dies wiederum entspricht einem Wort von 3 - 5 Buchstaben. Durch kontinuierliches und intensives Augentraining ist es möglich, eine Blickspanne von 8 - 12 Grad zu erzielen, was einem Text von 6 - 8 cm bzw. 6 - 8 Wörtern entspricht. Man kann also durch Erweiterung der Blickspanne die Anzahl der Fixierungen reduzieren und dadurch das Lesetempo enorm erhöhen.
(e) Optimale Rahmenbedingungen schaffen
- Zeitpunkt des Lesens geschickt wählen (wenig Störungen, keine Ablenkung, maximale Konzentration, hohe Leistungsfähigkeit)
- Organisation des Arbeitsplatzes (Lichtverhältnisse, kein Lärm, keine Unruhe oder bewegte Bilder in der Nähe, alles so vorbereiten, dass man das Lesen nicht unterbrechen muss)
(3) Tipps zur Erhöhung der Lesegeschwindigkeit
Schlechte Lesegewohnheiten verringern das Lesetempo drastisch. Es gibt jedoch einige Gegenmaßnahmen, mit denen man ihnen entgegenwirken kann - sofern man sie denn erkannt hat. Die folgende Tabelle gibt Ihnen eine Übersicht über die typischen schlechten Lesegewohnheiten und bietet Ihnen sinnvolle Gegenmaßnahmen an.
Schlechte Lesegewohnheit | Gegenmaßnahmen |
---|---|
Vokalisieren (leises oder lautes Mitsprechen beim Lesen) | Kaugummikauen oder ein Stücken Papier zwischen die Lippen nehmen. |
Regression (Zurückspringen auf bereits gelesenen Text beim erstmaligen Durchlesen) | Schnell und konzentriert lesen. Gelesenes mit leerer Karteikarte abdecken. |
Langsames und unkonzentriertes Lesen | Sich vor und beim Lesen anspornen, „schnell“ zu lesen. Konzentrationsübungen aller Art. |
Lesehilfsmittel verwenden (z.B. mit Zeigefinger, Lineal oder Stift die Zeilen nachfahren) | Stifte und sonstige Hilfsmittel aus der Hand legen. |
Wort für Wort lesen | Blickspanne erweitern, indem man mehrere Wörter mit einem Blick erfasst. |
Buchstabieren (Buchstabe für Buchstabe lesen) | Erkennen, dass man nicht jeden Buchstaben lesen muss, um ein Wort zu erfassen. Bsp.: R..htsw.ss.nsch..t. Obwohl das banal klingt, gibt es nicht wenige Studierende, die langsam fast Buchstabe für Buchstabe lesen. |