Klausurtechnik
Vor allem zu Beginn des Studiums ist noch vollkommen unklar, wie ein Fall in der Situation einer tatsächlichen Prüfung geschrieben werden sollte. Daher hier nun einige Hinweise zur Herangehensweise:
Umgang mit dem Bearbeitervermerk
Schon bevor der Sachverhalt das erste Mal gelesen wird, sollte der erste Blick auf den Bearbeitervermerk, also die konkrete Aufgabenstellung für die Klausur fallen. So kann der Sachverhalt schon mit dem Wissen, welche Frage es anschließend zu beantworten gilt, gelesen werden. Der Bearbeitervermerk sollte ganz genau gelesen und verinnerlicht werden, um zu verhindern, dass er missverstanden wird und somit in der Konsequenz eine für diese Aufgabenstellung falsche Lösung entsteht.
Im Bearbeitervermerk finden sich häufig Zusatzanmerkungen oder auch Hinweise darauf, was in dieser Klausur explizit nicht geprüft werden soll. Diese Hinweise sind vor dem Hintergrund, dass „alles Überflüssige falsch ist“ besonders wichtig. So können unnötige Punktabzüge vermieden werden.
Umgang mit dem Sachverhalt
Im Anschluss an die genaue Erfassung der Aufgabenstellung sollte alle Konzentration dem Sachverhalt gewidmet werden.
a) Erfassen des Sachverhalts
Unter dem Blickwinkel des Bearbeitervermerkes sollte der Sachverhalt gründlich, mindestens zweimal gelesen werden. Beim ersten Mal gilt es durch einfaches Lesen am Stück den Gesamtzusammenhang des Sachverhaltes zu erkennen. Beim zweiten Lesen sollte das Augenmerk dann auf die rechtlichen Aspekte des Falles gelegt und Notizen für die Lösung gemacht werden. Zur Verdeutlichung der Angaben im Sachverhalt und den Personenbeziehungen kann es zudem Sinn machen, sich ein Beteiligtendiagramm und einen Zeitstrahl aufzuzeichnen.
b) Erkennen der relevanten Angaben im Sachverhalt
Im Anschluss an das Erfassen des Sachverhaltes gilt es, alle dort aufgefundenen Informationen auf ihre Relevanz für die Falllösung zu untersuchen. Dabei sollte jeder einzelne Satz genau betrachtet werden, wobei sich jedes Mal die Frage „Welches Problem will der Klausurstellende hier erkannt und behandelt haben?“ stellt. Denn meist taucht nahezu jeder einzelne Satz irgendwo in der vom Klausursteller angefertigten Lösungsskizze auf und ist somit relevant.
Hinweis dafür, dass ein bestimmter Abschnitt des Sachverhalts aus juristischer Sicht besonders bedeutsam ist, können z.B. detaillierte, ausführliche Beschreibungen eines Geschehensablaufs, oder auch kontroverse, gegenteilige Meinungen der im Sachverhalt beteiligten Per-sonen (wichtig hier vor allem wörtliche Rede) sein. Darüber hinaus sind Datumsangaben häufig Indiz dafür, genauer hinzuschauen und deren Bedeutung rechtlich zu würdigen.
c) Umgang mit fehlenden Angaben im Sachverhalt
Es kann vorkommen, dass in einem Sachverhalt vermeintlich Informationen fehlen. Hier gilt: Den Sachverhalt so nehmen wie er ist! Die vorhandenen Informationen müssen also so ausgelegt werden (siehe Einheit Gutachtenstil), dass die vermeintliche Lücke geschlossen wird. Auch für diesen Fall gibt es einige Faustregeln: Fehlt eine Angabe zu einem bestimmten Prüfungspunkt, kann dieser Punkt in der Regel als gegeben angenommen werden (z.B. bei Form- und Fristfragen oder fehlenden Angaben zum subj. Tatbestand).
Prüfungspunkte, die in der Rechtswissenschaft als Ausnahmefall behandelt werden, dürfen bei fehlender Benennung im Sachverhalt nicht als gegeben angenommen werden.
Wichtig!: Tatsachen dürfen niemals als geschehen unterstellt werden. Es darf der Sachverhalt also nicht so verdreht werden, dass er zu den Prüfungspunkten passt. Auf diese Weise werden lediglich ungefragte Probleme abgehandelt und Zeit für die eigentliche Aufgabenstellung vergeudet.
d) Umgang mit widersprüchlichen Sachverhalten
Es kann passieren, dass ein Sachverhalt in sich widersprüchlich erscheint. Auch hier sollte versucht werden, die vorhandenen Angaben im Zuge der Auslegung in einen logischen Zusammenhang zu bringen.
Dabei gilt wieder: Den Sachverhalt so nehmen wie er ist! Unter keinen Umständen sollten Tatsachen hinzugedichtet oder besonders phantasievoll interpretiert werden. Das hätte zur Folge, dass Dinge in den Sachverhalt hineingelesen werden, die er nicht enthält und die somit irrelevant und daher falsch für die Lösung des Falles sind (sog. „Sachverhaltsquetsche“). Der Sachverhalt einer Klausur ist unveränderbar!!!
Um dem Lesenden einen Hinweis auf die Verständnisschwierigkeiten zu geben, kann der vermeintliche Widerspruch im Gutachten aufgezeigt werden. Trotzdem sollte jeder für sich versuchen, die widersprüchlichen Informationen lebensnah und aus Sicht des Klausurstellers auszulegen. Hier stellt sich dann wieder die Frage: „Welches Problem will der Klausurstellende hier erkannt und behandelt haben?“
Vorbereitung des Gutachtens (Lösungsskizze)
Sind die Informationen im Sachverhalt erfasst und etwaige Probleme aufgeklärt, sollte eine Lösungsskizze erstellt werden. Diese hat einige wesentliche Vorteile:
- Sie hilft, Gedanken zu ordnen und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Die Lösung ist also schon einmal vollständig durchdacht.
- Denkfehler in einer Skizze können einfacher behoben werden als in einer Reinschrift. So muss nicht direkt alles noch mal geschrieben werden (was auf Grund mangelnder Zeit zudem unrealistisch ist).
- Einzelne Punkte werden während des Schreibens anhand der Lösungsskizze kaum vergessen.
- Der Aufbau der Reinschrift ist klar strukturiert
Da die Klausur strukturiert niedergeschrieben wird, hat sie ein ansprechendes Erscheinungs-bild mit weniger Streichungen und Einschüben, was den Korrektor erfreuen wird. Die angefertigte Lösungsskizze sollte daher bereits die für die Reinschrift gewünschte Struktur aufweisen, um so das Niederschreiben zu erleichtern!
Wichtig!: In eine Lösungsskizze gehören keine Definitionen, ganze Argumentationsstränge o.ä. Es sollten lediglich Stichpunkte notiert werden, um die Gedanken zum jeweiligen Punkt zu sichern. Das spart Zeit und hilft trotzdem dabei, die Ideen festzuhalten.
Ist die Lösungsskizze fertig gestellt, kann bei Bedarf im nächsten Schritt eine Gewichtung der einzelnen Prüfungspunkte stattfinden. So können Schwerpunkte gesetzt und entschieden werden, an welchen Stellen Gutachtenstil erforderlich ist und wo Urteilsstil verwendet werden kann.
Zeitmanagement in der Klausur (zweistündig)
Um eine Klausur innerhalb der vorgegebenen Bearbeitungszeit fertig stellen zu können, bedarf es einer genauen Planung.
Die Bearbeitung der Klausur besteht dabei aus vier grundlegenden Schritten:
- Dem Lesen des Bearbeitervermerks
- Dem Lesen des Sachverhalts
- Dem Anfertigen einer Lösungsskizze
- Dem Anfertigen der Reinschrift
Diesen Schritten sollte innerhalb der Bearbeitungszeit ein genaues Zeitfenster zugeordnet werden, um das Gutachten auch innerhalb der Bearbeitungszeit fertig stellen zu können.
Dieses Zeitfenster sollte je nach Länge des Sachverhalts und Anzahl der aufgeworfenen Rechtsfragen angepasst werden.
Hier ein Beispiel für die Zeiteinteilung in einer Klausur mit Grundfall und Abwandlung: